Öffentliche Auftraggeber sind nicht nur bei der "Erstvergabe" eines Auftrags an das EU-Vergaberecht gebunden, sondern können auch bei beabsichtigten wesentlichen Änderungen eines geschlossenen Vertrags gezwungen sein, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen. Eine wesentliche Änderung kann etwa in der Ersetzung des ursprünglichen Auftragnehmers durch einen anderen Auftragnehmer liegen. Zulässig ist eine solche Ersetzung nach § 132 GWB ausnahmsweise dann, wenn die Ersetzung auf eine Unternehmensumstrukturierung zurückgeht.
Der EuGH hat mit einem Urteil vom 03.02.2022 über die Übernahme eines mehrjährigen Rahmenvertrags entschieden, den der insolvent gewordene Auftragnehmer an einen Konkurrenten "verkauft" hatte. Gegen diese Übernahme hat sich ein weiterer Konkurrent mit dem Argument gewehrt, die Vertragsübernahme stelle eine wesentliche Vertragsänderung dar, weshalb der (restliche) Rahmenvertrag in einem neuen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden müsse. Dem ist der EuGH nicht gefolgt: Eine "Umstrukturierung" liege auch bei einer vollständigen Abwicklung eines zahlungsunfähigen Unternehmens und einer Übertragung des mit dem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen Vertrags auf einen Dritten vor. Dabei sei es nicht erforderlich, dass der neue Auftragnehmer ganze Betriebs- oder Geschäftsteile des insolventen Auftragnehmers übernehme.
Das Urteil erleichtert die Fortführung bestehender Verträge im Falle einer Insolvenz des beauftragten Auftragnehmers. Kann der insolvente Unternehmer die Rechte und Pflichten aus dem mit dem öffentlichen Auftraggeber geschlossenen Vertrag auf einen Dritten übertragen und erfüllt der Dritte die ursprünglich vorgegebenen Eignungskriterien, spricht grundsätzlich nichts gegen diese Übertragung und die Fortführung des Vertrags zwischen Auftraggeber und Drittem. Gerade bei langfristigen Verträgen wie Rahmenverträgen, aber ebenso bei Bauverträgen oder Verträgen zur Unterhaltsreinigung kann der öffentliche Auftraggeber ein erhebliches Interesse an einer Vertragsfortführung haben, also daran, den bestehenden Vertrag nicht kündigen und kein neues Vergabeverfahren durchführen zu müssen.