Eine Vielzahl von Einzelhandelsgeschäften musste während des durch die COVID-19-Pandemie bedingten Lockdowns schließen. Natürlich drängt sich in einer solchen Konstellation die Frage auf, wer bei gemieteten Geschäftsräumen das Risiko einer solchen staatlich verordneten Schließung trägt. Hat der Vermieter weiter Anspruch auf Mietzahlung, reduziert sich die Miete und wenn ja, in welcher Höhe? Diese Fragen waren Gegenstand einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen, seit dem 12.01.2022 liegt ein Urteil des Bundesgerichtshofes hierzu vor. Rechtlich werden durch dieses Urteil manche Fragen geklärt, die Umsetzung in der Praxis bleibt problematisch. Eine pauschale Generallösung gibt es nämlich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht, vielmehr kommt es auf den Einzelfall an.
Geklärt ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die staatlich angeordnete COVID-19-bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts eine sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB darstellt, sodass grundsätzlich ein Anspruch des Mieters auf Anpassung der Miete entstehen kann. Was bedeutet das? Der Bundesgerichtshof hat insoweit eine Antwort gegeben, als dass er einer pauschalen Betrachtungsweise – die das Risiko zwischen Vermieter und Mieter z. B. im Verhältnis 50:50 verteilt – eine klare Absage erteilt. Vielmehr seien sämtliche Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Es müssten daher z.B. finanzielle Vorteile berücksichtigt werden, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat oder hätte erlangen können.
Ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB kann verlangt werden, wenn sich nach Vertragsabschluss diejenigen Umstände schwerwiegend geändert haben, die Grundlage des Vertrags waren, und die Parteien den Vertrag, hätten sie dies vorausgesehen, nicht oder jedenfalls mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten. Der Anpassungsanspruch besteht jedoch nur in dem Umfang, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass aufgrund der Beschränkungen durch die COVID-19-Pandemie eine solche Veränderung der Geschäftsgrundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrages eingetreten ist. Der Vertrag war im entschiedenen Fall im Jahr 2013 und damit zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, zu dem niemand ahnen konnte, dass es zu einer solchen Pandemie und den angeordneten Lockdown-Maßnahmen kommen werde. Voraussetzung einer Vertragsanpassung ist weiter, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nicht jede einschneidende Veränderung der Geschäftsgrundlage rechtfertigt daher eine Vertragsanpassung, sondern nur eine solche, ohne die ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Wichtig ist bei der vorzunehmenden Abwägung, dass im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko trägt. Insbesondere gehört dazu bei gewerblichen Mietverhältnissen die Erwartung und die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Dieses Risiko trägt der Mieter grundsätzlich auch dann, wenn sich seine Gewinnerwartung nicht erfüllt. Dies gilt auch in Fällen, in denen es durch nachträgliche gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen zu einer Beeinträchtigung der Gewinnerwartung bzw. des Gewerbebetriebs des Mieters kommt. Dies ist das "gewöhnliche" Verwendungsrisiko. Im Falle der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, etwa einer vorübergehenden Betriebsschließung, geht der Bundesgerichtshof jedoch einen Schritt weiter und stellt fest, dass die dadurch eingetretene enttäuschte Gewinnerwartung allein auf staatliche Eingriff zurückgehe, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden könne. Die Eingriffe gingen daher über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus und seien dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung zwischen Vermieter und Mieter nicht erfasst werde. Dieses Risiko könne daher auch nicht einer Vertragspartei allein zugewiesen werden.
Dies entbinde jedoch nicht von der Prüfung, ob bzw. in welchem Umfang der Vertrag anzupassen ist. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs muss im Einzelfall geprüft werden, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung entstanden sind. Dabei sei in erster Linie auf den konkreten, die jeweilige Mietsache betreffenden Umsatzrückgang abzustellen. Es müsse gegengerechnet werden, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder jedenfalls ergreifen konnte, um drohende Verluste zu vermindern. Eine Überkompensierung der entstandenen Verluste zugunsten des Mieters müsse ausgeschlossen werden. Deshalb seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit auch finanzielle Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter z. B. aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat oder hätte erlangen können. Zu berücksichtigen seien auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsunterbrechungsversicherung des Mieters.
Auch wenn nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs klar ist, dass für eine generalisierende Betrachtungsweise kein Raum ist, so ist nun auch klar, worauf es im Grundsatz ankommt: Der Mieter muss nicht nur darlegen, ob und welche Einbußen er tatsächlich zu verzeichnen hat. Er muss auch darlegen, ob und ggf. welche staatlichen Unterstützungsleistungen er erhalten hat. Aber auch die Interessen des Vermieters dürfen nicht vergessen werden, wie der Bundesgerichtshof ausdrücklich anmerkt. Behauptet dieser, vom Mieter dargelgte Gewinnrückgänge beruhten gar nicht auf der COVID-19-bedingten Schließung, so ist es Sache des Vermieters, dies darzulegen und zu beweisen. Im Ergebnis führt daher kein Weg daran vorbei: Die berechtigten Interessen der Mietvertragsparteien sind in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und es ist im Einzelfall mit großer Genauigkeit zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Ansprüche in welchem Umfang aufgrund der im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie angeordneten hoheitlichen Maßnahmen insbesondere zu Gunsten des Mieters entstehen können.