Mit Urteil vom 19.01.2023 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Kündigung wegen Mängeln nicht auf § 4 Nr. 7 Satz 3 in Verbindung mit § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B (2002) gestützt werden kann, falls der Auftraggeber Verwender der VOB/B ist und diese nicht als Ganzes vereinbart wird. Zwar betrifft das Urteil die VOB/B in der Fassung von 2002 und das Bürgerliche Gesetzbuch in der zwischen 2002 und 2017 geltenden Fassung. Es ist jedoch unmittelbar auf die aktuelle Fassung von VOB/B und BGB übertragbar und hat daher weitreichende Konsequenzen.
Dem Urteil des Bundesgerichtshofs lag ein Fall zugrunde, bei dem der Auftraggeber während der Bauausführung die Qualität des verbauten Betons für den Einbau von Bordsteinen rügte. Der Auftraggeber forderte die Beseitigung des Mangels, setzte eine Frist zur Nachbesserung und drohte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs die außerordentliche Kündigung des Vertrags an. Da der Auftragnehmer die Frist ungenutzt verstreichen ließ, erklärte der Auftraggeber gestützt auf § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) die Kündigung aus wichtigem Grund. Die Kosten der Nachbesserung beliefen sich auf rund 6.000,00 € bei einem Auftragsvolumen von über 3 Mio. €.
Zwar hatte der Auftraggeber die Formalien für eine außerordentliche Kündigung beachtet, jedoch ist § 4 Nr. 7 Satz 3 in Verbindung mit § 8 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B (2002) nach Auffassung des Bundesgerichtshofs als Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam. Nach § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) – und ebenso nach der aktuellen Fassung in § 4 Abs. 7 VOB/B – könne der Auftraggeber einen Vertrag selbst bei ganz geringfügigen und unbedeutenden Mängeln kündigen, wenn der Auftragnehmer eine zur Nachbesserung gesetzte Frist ungenutzt verstreichen lasse. Dadurch werde der Auftragnehmer unangemessen benachteiligt. Denn ohne Vereinbarung der VOB/B sei eine außerordentliche Kündigung nur möglich, wenn der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die Vertrauensgrundlage derart erschüttert, dass dem Auftraggeber eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Diese Voraussetzungen können zwar auch wegen eines Mangels vorliegen. Jedoch sei ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers erforderlich, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, etwa wegen der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen des Mangels. Von diesen Voraussetzungen weicht § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) so erheblich ab, dass der Bundesgerichtshof darin eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers sieht.
Soweit die Geltung der VOB/B vom Auftraggeber vorgegeben und die VOB/B nicht als Ganzes – das heißt ohne jede inhaltliche Änderung – vereinbart wird, kann eine außerordentliche Kündigung nicht auf § 4 Abs. 7 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 VOB/B gestützt werden. Sofern der Auftraggeber eine außerordentliche Kündigung auf Mängel stützen will, müssen diese Mängel entweder zu einer tiefgehenden Störung des Vertrauensverhältnisses führen oder der Auftraggeber muss sich auf eine wirksame vertragliche Regelung berufen können, die eine außerordentliche Kündigung nicht bei jedem (Kleinst-) Mangel ermöglichen darf. Klargestellt hat der Bundesgerichtshof, dass eine Kündigung nach § 8 Abs. 3 VOB/B weiterhin möglich bleibt, sofern sie auf die Verweisungen auf § 4 Abs. 8 VOB/B (Selbstausführungsgebot) oder § 5 Abs. 4 VOB/B (Verzug) gestützt wird.
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