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2022

Neues EU-Vertriebskartellrecht in Kraft getreten

Zum 01.06.2022 ist das neue EU-Vertriebskartellrecht in Kraft getreten. Die Neuregelung hat eine Laufzeit bis 31.05.2034, wird also die nächsten zwölf Jahre die Vertriebslandschaft in der EU prägen. Für bisher freigestellte Verträge gilt eine Übergangszeit von einem Jahr, auch wenn sie nach den neuen Regeln nicht zulässig wären.

Die neuen Regeln bestehen weiterhin aus einer Gruppenfreistellungsverordnung (Nr. 2022/720) sowie ergänzenden Leitlinien. Zur Interpretation ist zudem eine sogenannte Explanatory Note der EU Kommission hilfreich. Die Neuregelung sieht eine Vielzahl an Ergänzungen, Verschärfungen und Erleichterungen vor. Die aus unserer Sicht wichtigsten haben wir in einem eigenen Newsletter zusammengefasst, der über unsere Website bit.ly/3bU4c34 abrufbar ist.

Folgende generelle Trends gibt es:

1. Das Regelungskonzept bleibt im Kern unverändert. Die Gruppenfreistellungsverordnung schafft weiter einen sicheren Hafen für Vertriebs- und Liefervereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern, wenn die Parteien Marktanteile von nicht mehr als 30 % haben und wenn die Vereinbarungen keine sogenannten schwarzen oder grauen Klauseln vorsehen. Die Vertikalleitlinien enthalten neben vielen bekannten Passagen auch eine ganze Reihe neuer Erläuterungen, so dass der Umfang der Leitlinien sich fast verdoppelt hat.

2. Beim Verhältnis zwischen Online- und Offline-Vertrieb deutet sich ein Paradigmenwechsel an: Den alten Regeln lag der Gedanke zugrunde, dass der Online-Handel grundsätzlich schutzbedürftig sei und Beschränkungen des Herstellers nur in engen Grenzen zulässig seien. Nunmehr scheint die Kommission berechtigten Interessen von Herstellern und stationären Händlern einen höheren Stellenwert einzuräumen als bisher. Dies kommt etwa darin zum Ausdruck, dass sogenannte Doppelpreissysteme nun in Grenzen zulässig sind oder dass bestimmte Online-Vertriebsmaßnahmen als aktiver Vertrieb eingestuft werden, so dass sie in Alleinvertriebssystemen beschränkt werden können.

3. Die traditionellen Vertriebsformen Alleinvertrieb und Selektivvertrieb erhalten mehr Flexibilität und dürften für Hersteller künftig attraktiver werden. Alleinvertriebssysteme profitieren etwa davon, dass eine sogenannte "geteilte Exklusivität" ermöglicht wird. Das bedeutet, dass ein Gebiet oder eine Kundengruppe bis zu fünf Händlern exklusiv zugewiesen werden kann, anstatt wie bisher nur einem. Solche Gebiete oder Kundengruppen können dann vor aktiven Verkäufen anderer Händler geschützt werden. Das war bisher nicht möglich. In Selektivvertriebssystemen werden die Anforderungen für die Auswahl der zugelassenen Händler abgesenkt. Außerdem wird es Herstellern erleichtert, in verschiedenen Gebieten unterschiedliche Absatzformen zu verwenden, ohne auf den Schutz dieser Systeme an den geografischen Schnittstellen verzichten zu müssen. Das verbessert die Effektivität solcher Systeme erheblich.

4. Für den Online-Handel und insbesondere für Online-Plattformen gibt es viel detailliertere Regeln als das bisher der Fall war. Hybride Plattformen, die auch selbst als Händler der fraglichen Waren auftreten, werden relativ strengen Schranken unterworfen. Zudem werden bestimmte praxisrelevante Konstellationen, die bisher nicht explizit geregelt waren, nun in der Gruppenfreistellungsverordnung thematisiert. Dies betrifft etwa Beschränkungen des Online-Handels zulasten von Händlern oder den Informationsaustausch zwischen einem Hersteller und seinen Händlern in Fällen des parallelen Direktvertriebs des Herstellers. Auffällig ist, dass diese Regeln erhebliche Auslegungsspielräume vorsehen. Die Erläuterungen mit Beispielen in den Leitlinien werden deshalb voraussichtlich in der Praxis große Bedeutung haben.

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