BGH, Urteil vom 19.10.2022 – IV ZR 185/20
Der BGH hat mit diesem Urteil, das zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung BGHZ vorgesehen ist, grundlegende Rechtsfragen zur Reiserücktrittsversicherung geklärt, die auch für andere Versicherungsprodukte, u. a. die Restschuldversicherung, interessant sind.
Die vom Bund der Versicherten angestrengte Unterlassungsklage richtete sich gegen die Formulierung in den AVB, nach der nur "unerwartete und schwere Erkrankungen" versichert sind. Der BGH hat diese Klausel als Leistungsbeschreibung eingestuft, die der AGB-Kontrolle entzogen ist. Gewichtige Stimmen in der Literatur waren hingegen von einem der AGB-Kontrolle unterliegenden, möglicherweise unangemessenen Risikoausschluss für Erkrankungen ausgegangen, die nicht als "unerwartet und schwer" einzustufen sind.
Der BGH hat auch einen Verstoß der Regelung gegen zwingende Bestimmungen der §§ 19 ff. VVG zur Risikoprüfung verneint. Diese führe nicht zu einer Leistungsfreiheit in Fällen, in denen gemäß § 19 ff. VVG keine Leistungsfreiheit eintreten würde. Der VR habe von vornherein nur Versicherungsschutz für "unerwartete" Erkrankungen versprochen.
Auch ein Verstoß gegen das - sich auch auf das Hauptleistungsversprechen erstreckende - Transparenzgebot liege nicht vor. Richtig verstanden stelle die Klausel allein auf die positive Kenntnis und Vorstellung des jeweiligen VN darüber ab, ob eine Krankheit zu erwarten sei oder nicht. Dementsprechend fielen auch akute, vom VN nicht erwartete Krankheitsschübe einer bekannten chronischen Erkrankung grundsätzlich unter den Versicherungsschutz. Auch die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf "schwere" Erkrankungen hat der BGH als ausreichend transparent eingestuft.
Bewertung: Darüber, ob eine kontrollfreie Leistungsbeschreibung oder ein der AGB-Kontrolle unterliegender Risikoausschluss vorliegt, lässt sich fast so trefflich streiten wie darüber, ob ein Glas halb voll oder halb leer ist. Die Entscheidung des BGH zu dieser Frage ist daher sicher nicht zwingend, wenngleich im Ergebnis erfreulich. Bedeutender sind die Ausführungen des BGH zu den §§ 19 ff. VVG, die Anlass zu der Hoffnung geben, dass Versicherungsprodukte, bei denen auf eine umfassende Risikoprüfung zugunsten restriktiver Leistungsbeschreibungen bzw. Risikoausschlüsse verzichtet wird, weiterhin möglich bleiben.