Der Zugang von Kündigungen und Abmahnungen gegenüber Arbeitnehmern gehört zu den alltäglichen Problemen, mit denen Personalverantwortliche konfrontiert werden. Soweit entsprechende Schreiben nicht persönlich übergeben werden und der Betroffene Zeitpunkt der Übergabe und Kenntnisnahme des Inhalts quittiert, kann der Arbeitgeber das Schreiben in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers einlegen lassen. Dies sollte von einem Kurierdienst, notfalls durch Einschreiben geschehen. Der entscheidende Nachteil einer Ablage in den Hausbriefkasten ist die Feststellung des Zeitpunkts, zu dem das Schreiben als zugegangen gilt. Gerade beim Ausspruch von Kündigungen ist dies relevant, um den Beginn der 3-Wochen-Frist für die Einlegung von Kündigungsschutzklagen feststellen zu können.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einem Urteil vom 22.08.2019 damit auseinandergesetzt, zu welchem Zeitpunkt ein Kündigungsschreiben als "zugegangen" gilt, wenn es in den Briefkasten abgelegt wird. In dem Fall war einem alleinstehenden Arbeitnehmer um 13:25 Uhr und damit nach Ende der Postzustellungszeiten ein Kündigungsschreiben in den Briefkasten gelegt worden. Die durch den Arbeitnehmer eingelegte Kündigungsschutzklage wäre nur fristwahrend bei Gericht eingegangen, wenn die Kündigung erst am Folgetag "zugegangen" und damit wirksam geworden wäre.
Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, hatte angenommen, dass die Kündigung noch am selben Tag zugegangen sei. Denn nach der allgemeinen Verkehrsauffassung leere der (alleinstehende) Normalbürger seinen Briefkasten abends, wenn er von der Arbeit zurückkehre. Außerdem existieren eine Vielzahl von Postdienstleistern, die teilweise noch am späten Nachmittag Zustellungen veranlassen, sodass man bis 17:00 Uhr noch mit Posteingängen zu rechnen habe. Auf die klassischen Postlaufzeiten vor Ort komme es daher nicht an. Das Bundesarbeitsgericht ist dieser Sichtweise nicht gefolgt. Die Vorinstanz habe für die "Verkehrsauffassung" nicht pauschal einen Arbeitnehmer in Vollzeit heranziehen dürfen, bei dem eine Leerung der Post abends erfolge. Ein großer Teil der Bevölkerung sei in Teilzeit oder im Homeoffice tätig. Außerdem bestehe selbst bei alleinstehenden Arbeitnehmern die Möglichkeit, dass ein Mitbewohner den Briefkasten leert.
Das Bundesarbeitsgericht führt aus, dass es für die Ermittlung des Zugangszeitpunkts von Willenserklärungen notwendig sei, tatsächliche Feststellungen darüber zu treffen, wann am Wohnort nach der allgemeinen Verkehrsauffassung mit einer Leerung der Postbriefkästen zu rechnen sei. Hierfür sei derjenige beweisbelastet, der sich auf den für ihn günstigen Zeitpunkt des Zugangs beruft. Dies war der Arbeitgeber, der sich auf das Wirksamwerden der Kündigung am Tag des Einlegens und die daher verspätete Einlegung der Klage berief. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird es in Zukunft faktisch unmöglich sein, den Zugang eines Schreibens nach Ablauf der Postzustellungszeiten zu beweisen. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Arbeitgeber die "allgemeine Verkehrsauffassung" hinsichtlich des Zeitpunkts der Briefkastenleerung am Wohnort des Arbeitnehmers darlegen und beweisen kann. Für den Zugang eines Schreibens ist daher auch in Zukunft auf die gewöhnlichen Postzustellungszeiten abzustellen, die in der Regel bis 11:00 Uhr laufen.