HomeWissenNewsletterdetailAktuelle Rechtsprechung zur Pflicht eines Geschäftsführers, ein Compliance Management System einzuführen
2022

Aktuelle Rechtsprechung zur Pflicht eines Geschäftsführers, ein Compliance Management System einzuführen

Der Geschäftsführer einer GmbH (wie auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft) hat nach dem Gesetz die "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes" anzuwenden. Aber was bedeutet das für den Geschäftsführer im konkreten Einzelfall? Welche Pflichten sich für den Geschäftsführer ergeben, bestimmt sich sowohl anhand des Unternehmens (Größe, Art, wirtschaftliche Lage) als auch der konkreten Geschäftsführungsmaßnahme (Umfang, Bedeutung für die Gesellschaft, drohende Folgen). Der Geschäftsführer muss das Unternehmen jedenfalls so organisieren, dass er jederzeit einen Überblick über deren wirtschaftliche und finanzielle Lage hat. In einem aktuellen Urteil hat das OLG Nürnberg entschieden, dass zu dieser Unternehmensorganisation auch ein Compliance Management System gehören kann, mit dem sichergestellt werden soll, dass die Gesellschaft und deren Mitarbeiter keine Rechtsverstöße begehen. Besteht bei bestimmten Tätigkeiten von Mitarbeitern ein besonderes Risiko von Straftaten oder sonstigen Fehlhandlungen, so hat der Geschäftsführer ein "Vier-Augen-Prinzip" einzuführen und dessen Einhaltung durch regelmäßige Kontrollen sicherzustellen. Unterlässt er dies und entsteht der Gesellschaft hierdurch ein Schaden, ist der Geschäftsführer persönlich zum Schadenersatz verpflichtet. 

Sachverhalt
Dem Urteil des OLG Nürnberg (Urt. v. 30.03.2022 – 12 U 1520/19) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, die Komplementärin und geschäftsführende Gesellschafterin einer GmbH & Co. KG (im Folgen-den "KG") war. Die KG vertrieb Mineralölprodukte und stellte für Kunden unter anderem Tankkarten zur Verfügung. Mit diesen Tankkarten konnten die Kunden bis zu einem bestimmten Kreditlimit tanken, was ihnen dann monatlich von der KG in Rechnung gestellt wurde. Ein Mitarbeiter der KG (im Folgenden "M"), der an sich für die Akquise und Betreuung von Kunden zuständig war, sorgte durch verschiedene Manipulationen dafür, dass mehrere Kunden ihr Kreditlimit überziehen konnten, ohne dass dies unmittelbar auffiel. Um seine Manipulationen zu verdecken, griff M in den üblichen Geschäftsgang ein: er ließ sich Rechnungen vorlegen, damit er diese an die betreffenden Kunden schicken konnte oder gab vor, sich um die Beschwerden bestimmter Kunden selbst zu kümmern. Beides war höchst unüblich und stellte eine Überschreitung seiner Kompetenzen dar. Ein Vier-Augen-Prinzip, das zur Aufdeckung dieser Manipulationen geführt hätte, wurde im Tätigkeitsbereich des M nicht eingehalten, was der beklagte Geschäftsführer auch wusste. Erst während einer Urlaubsabwesenheit des M kamen seine Manipulationen ans Licht.

Aufgrund der späteren Insolvenz der Kunden, die von M bevorzugt behandelt worden waren, fiel die KG mit Forderungen aus der Lieferung von Kraftstoff in Höhe von rund 860.000,00 € aus. Die KG machte gegenüber dem Geschäftsführer Schadenersatzansprüche geltend, da er M nicht ausreichend überwacht habe, insbesondere die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips nicht gefordert und er im Rahmen der Unternehmensorganisation Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen unterlassen habe. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das OLG Nürnberg hat das Urteil (ganz überwiegend) gehalten. 

Haftung und Sorgfaltspflicht eines Geschäftsführers
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet dieser nach § 43 Abs. 2 GmbHG für die Schäden, die durch die Verletzung seiner Pflichten gegenüber der Gesellschaft entstehen. Der Umfang dieser Pflichten bemisst sich dabei an der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmannes gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG. Welche Pflichten sich für den Geschäftsführer hieraus ergeben können, bestimmt sich zum einen anhand des geführten Unternehmens (Größe, Art, wirtschaftliche Lage) und zum anderen anhand der konkreten Geschäftsführungsmaßnahme (Umfang, Bedeutung, Folgen für das Unternehmen). Der konkrete Maßstab der Pflichten ist objektiv zu bestimmen, d.h. es kommt nicht auf die persönlichen Umstände des Geschäftsführers wie Alter oder Unerfahrenheit oder seine Arbeitsaus- oder -überbelastung an. 

Die "Business Judgment Rule"
Mit der Geschäftsführung sind jedoch stets auch riskante Entscheidungen verbunden, die sich im Nachhinein als negativ für die Gesellschaft herausstellen können. Nicht jede riskante Entscheidung kann daher eine Haftung des Geschäftsführers auslösen. Deshalb wird dem Geschäftsführer ein weitreichender Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über Geschäftsführungsmaßnahmen zugebilligt. Die reine wirtschaftliche Zweckmäßigkeit von Geschäften unterliegt dabei nicht der gerichtlichen Kontrolle. Nach der sog. "Business Judgment Rule", die für die Aktiengesellschaft ausdrücklich normiert ist (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) und auch bei der GmbH Anwendung findet, liegt eine Pflichtverletzung dann nicht vor, wenn der Geschäftsführer bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. 

Das nach der "Business Judgment Rule" eingeräumte Ermessen ist jedoch dann überschritten, wenn aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafürsprechen, es dennoch einzugehen. Hierbei sind wiederum die in der betreffenden Branche anerkannten Erkenntnisse und Erfahrungsgrundsätze zu berücksichtigen. Bekanntes Beispiel hierfür ist etwa der Grundsatz für Vorstandsmitglieder einer Genossenschaftsbank, dass Kredite grundsätzlich nicht oh-ne übliche Sicherheiten ausgegeben werden dürfen.

Pflicht zur Einrichtung eines Compliance Management Systems
Der Geschäftsführer ist grundsätzlich dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Er hat Verluste möglichst zu vermeiden und alles zu tun, um für eine nachhaltige Rentabilität zu sorgen. Soweit der Geschäftsführer, etwa aufgrund der bloßen Größe der Gesellschaft, nicht mehr sämtliche Maßnahmen selbst beschließt und durchführt, hat er eine interne Organisationsstruktur einzuführen, die die Rechtmäßigkeit und Effizienz der Gesellschaft und ihrer Mitarbeiter gewährleistet. Ihn trifft auch die Verpflichtung, ein sog. Compliance Management System einzuführen, also organisatorische Vorkehrungen, mit denen Rechtsverstöße durch die Gesellschaft und Mitarbeiter verhindert werden. Er hat den Geschäftsgang nicht nur so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen von einer ordnungsgemäßen Erledigung ausgehen kann, er muss auch in der Lage sein, sofort einzugreifen, wenn Anhalts-punkte für ein Fehlverhalten vorliegen. Ist das Compliance Management System mangelhaft oder überhaupt nicht vorhanden, kann sich der Geschäftsführer nicht darauf berufen, dass er selbst den Rechtsverstoß nicht begangen habe. Er haftet vielmehr bereits dann, wenn durch die fehlende Kontrolle und Organisation Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen lediglich erleichtert werden. 

Bestandteil der Überwachungspflicht des Geschäftsführers ist auch die Kontrolle. Er darf nicht erst dann tätig werden, wenn Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten vorliegen. Es kann auch erforderlich sein, durch überraschende Stichproben die Einhaltung der Vorgaben zu kontrollieren. Dadurch soll den Mitarbeitern klargemacht werden, dass ein Fehlverhalten aufgedeckt und geahndet werden wird. Falls sich zeigt, dass solche Stichproben nicht genügen, muss der Geschäftsführer andere, geeignetere Maßnahmen ergreifen. Hierunter kann auch die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips fallen. Bei der Entscheidung, wie der Geschäftsführer das Compliance Management System aufbaut, hat er auch die Würde der Mitarbeiter sowie das Betriebsklima (Stichwort "totale Überwachung") zu berücksichtigen. Intensivere Maßnahmen wer-den dagegen dann erforderlich, wenn es bereits in der Vergangenheit zu Unregelmäßigkeiten kam.

Darlegungs- und Beweislastverteilung im Prozess
Macht die Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG Schadenersatzansprüche gegen den Geschäftsführer geltend, hat sie (nur) die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und inwieweit ihr ein Schaden durch das Fehlverhalten des Geschäftsführers entstanden ist. Der Geschäftsführer hat dagegen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG nachgekommen ist, ihn kein Verschulden trifft oder der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn er seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte. Aus dieser Darlegungs- und Beweislastverteilung folgt das praktische Bedürfnis für den Geschäftsführer, seine Entscheidungen sowie die ihm zur Verfügung stehenden Informationen zu dokumentieren.

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