Wer Sozialversicherungsbeiträge vorenthielt oder veruntreute, dessen Tat galt faktisch als unverjährbar. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verjähren Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB erst nach 35 Jahren, bei Unterbrechung der Verjährungsfrist sogar noch später. Vergleichbare Wirtschaftsstraftaten wie Betrug, Untreue oder Korruption verjähren hingegen in der Regel bereits nach nur fünf Jahren.
Nun bahnt sich eine überraschende Kehrtwende an: Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs beabsichtigt, seine bisherige Rechtsprechung zur Verjährung solcher Taten zu ändern. Er nimmt sich in einem Anfragebeschluss vom 13.11.2019 der seit Jahren wachsenden Kritik in Literatur und Praxis an und äußert sich zu dem offensichtlichen Wertungswiderspruch zur Verjährung anderer vergleichbarer Tatbestände.
Für den Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist ist die Beendigung der Tat maßgeblich. Nach bisheriger Rechtsprechung tritt eine Beendigung der Tat erst ein, wenn die Pflicht zur Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich erloschen ist. Dies ist erst nach Ablauf von 30 Jahren und der damit einhergehenden Verjährung der Beitragsschuld der Fall, so dass die strafrechtliche Verjährung erst nach weiteren fünf Jahren eintritt. Nach dem Anfragebeschluss des 1. Strafsenats soll künftig nicht mehr das Erlöschen der Beitragspflicht maßgeblich sein; sondern der Zeitpunkt, zu dem der Sozialbeitrag fällig, aber nicht bezahlt wird. Damit beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist bereits ab diesem Zeitpunkt zu laufen und nicht erst 30 Jahre später. Da ein weiteres Untätigbleiben nach der Nichtzahlung die Rechtsgutsverletzung nicht weiter vertiefe, sei es – so der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs – nicht gerechtfertigt, an einen späteren Zeitpunkt anzuknüpfen. Nun gilt es, die Reaktion der übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs abzuwarten. Aufgrund der in den vergangenen Jahren zunehmenden Kritik an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestehen gute Chancen, dass sich die übrigen Senate des Bundesgerichtshofs der Auffassung des 1. Strafsenats anschließen werden.
Der Beschluss ist nicht nur in Fällen von "Schwarzarbeit" von enormer Bedeutung, er berührt auch Fälle sogenannter "Scheinselbständigkeit", bei denen sich strafrechtliche Risiken wegen nichtabgeführter Sozialversicherungsbeiträgen nun verringern könnten. Unabhängig hiervon besteht die sozialversicherungsrechtliche Zahlungspflicht bis zum Erlöschen der Beitragspflicht fort. Die Sozialversicherungsbeiträge nebst Säumniszuschlägen müssen bei vorsätzlichem Handeln für bis zu 30 Jahre nachentrichtet werden. Insoweit sind betroffene Unternehmen nach wie vor gut beraten, umgehend Klarheit bezüglich des Status der von ihnen beauftragten Fachkräfte und Unternehmen zu schaffen.