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2024

Sondernewsletter Insolvenzrecht 02/2024

Zahl der Unternehmensinsolvenzen nimmt zu

Handlungsempfehlungen zum Umgang mit insolvenzbedrohten Geschäftspartnern

Die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen hat sich in 2023 deutlich erhöht (1). Es ergeben sich damit vermehrt auch im Tagesgeschäft insolvenzrechtliche Fragestellungen. Mit diesem Newsletter wollen wir Sie für wichtige Themen sensibilisieren.

Krisenfrüherkennung

Für die Sicherung der eigenen Rechte ist es wichtig, krisenhafte Entwicklungen bei Schuldnern und Vertragspartnern möglichst frühzeitig zu erkennen. Dem Insolvenzrecht liegt der Gedanke der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zugrunde. Dieser Grundsatz gilt nicht erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern wird insbesondere durch die Vorschriften der Insolvenzanfechtung und der Aufrechnung im Insolvenzverfahren sowie das Wahlrecht des Insolvenzverwalters bei der Erfüllung gegenseitiger Verträge in das Vorfeld der Insolvenzeröffnung verlagert. Rechtshandlungen im Vorfeld der Insolvenz, z.B. die Forderungseinziehung oder Erfüllung eines Anspruchs, können unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig gemacht werden bzw. sind unwirksam. Das kann zur Folge haben, dass eine Zahlung an den Schuldner nochmals an den Insolvenzverwalter und damit doppelt geleistet werden muss.

Sicherung im Umgang mit insolvenzbedrohten Geschäftspartnern

Die Gefahr bei Geschäften mit insolvenzbedrohten Geschäftspartnern liegt maßgeblich im weitgehenden Verlust des eigenen Anspruchs bzw. der eigenen Leistungen, während die Gegenleistung ausbleibt oder aufgrund (späterer) Anfechtung zurückgewährt werden muss. Insofern kommt es zunächst darauf an, nicht zuletzt in einem gesamtwirtschaftlich schwierigen Umfeld, seine Geschäftspartner hinreichend und fortlaufend zu prüfen und ggf. geeignete Früherkennungsinstrumente zu installieren. Hat man nicht bereits frühzeitig die Geschäftsbeziehung und den Leistungsaustausch (möglichst) krisen- bzw. insolvenzfest gestaltet, sind spätestens mit dem Feststellen einer Krise des Geschäftspartners (d.h. noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens) bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, will man einerseits die Geschäftsbeziehung nicht umgehend einstellen, andererseits aber das Verlustrisiko möglichst ausschließen. Zudem stellt sich die Frage, ob und ggf. wie mit in diesem Stadium bereits bestehenden Forderungen umzugehen ist bzw. deren Einbringlichkeit gesichert werden kann.

Es stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um eigene Haftungsrisiken zu minimieren und den zukünftigen Leistungstausch weitgehend insolvenzfest zu gestalten.

  • Bargeschäft gemäß § 142 InsO

Der Leistungsaustausch kann als sog. Bargeschäft gestaltet werden. Das setzt einen unmittelbaren Austausch von Leistung und Gegenleistung voraus. Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist erfüllt, wenn der Leistungsaustausch in einem sachlichen und zeitlich engen Zusammenhang erfolgt.

  • Umstellung auf Vorkasse
  • (Verlängerter) Eignungsvorbehalt

Als Lieferant sind zudem (künftige) Lieferungen spätestens ab Kenntnis von der Krise nur noch unter einem (verlängerten) Eigentumsvorbehalt durchzuführen, um im Falle der Insolvenz auf das Vorbehaltsgut bzw. dessen Wert zugreifen zu können. Im Einzelfall zu prüfen bleibt indes stets, ob der Leistungsaustausch damit noch kongruent ist bzw. bleibt. Wird die Verlängerung des Eigentumsvorbehalts erst in der Krise vereinbart und lässt sich die Kenntnis der Krise beweisen, kann die Vereinbarung von dem Insolvenzverwalter erfolgreich angefochten werden und verliert dann nachträglich ihre Wirkung.

  • Einforderung von (zusätzlichen) Sicherheiten

Die Absicherung bereits bestehender Forderungen durch die nachträgliche Bestellung "freier" Sicherheiten des Geschäftspartners ist in der Regel schwierig, da sich insofern ein Anfechtungsrisiko kaum vermeiden lässt, jedenfalls wenn die Sicherheitenbestellung in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragsstellung erfolgt. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, von einem kriselnden Schuldner Geld oder Sicherheiten entgegenzunehmen, getreu dem Grundsatz „was man hat, das hat man“, sofern damit das Bewusstsein verbunden ist, das Geld bzw. die Sicherheit gegebenenfalls dem Insolvenzverwalter zurückgeben zu müssen.

  • Vermeidung eigener Haftungsrisiken

Ein anderer Aspekt ist die Vermeidung eigener zivil- und strafrechtlicher Haftungsrisiken, die entstehen können, wenn der in einer Krise befindliche Geschäftspartner nicht auf eine sog. Gläubigergleichbehandlung und eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung achtet. Insofern kann es zu einer Beihilfe zur Insolvenzverschleppung oder Gläubigerbegünstigung kommen, was durch entsprechende vorbeugende Maßnahmen auszuschließen ist.

  • Beteiligung an Sanierungsversuch

Schließlich kann bei einem besonders bedeutenden Geschäftspartner die strategische Fragestellung aufkommen, ob und ggf. in welchem Rahmen man sich als Gläubiger an dessen möglicher Sanierung beteiligt. Die Erfolgswahrscheinlichkeit sowie die Auswahl möglicher Sanierungsinstrumente bedarf dabei einer sorgfältigen Analyse und Abwägung.

Vertragliche Vereinbarung von Lösungsklauseln

Ein probates Mittel der frühzeitigen Insolvenzabsicherung ist die Vereinbarung sogenannter insolvenzwirksamer Lösungsklauseln. Es handelt sich dabei um Vertragsklauseln, die es einer oder mehreren Vertragsparteien erlauben, im Falle der Insolvenz Abstand von dem Vertrag zu nehmen. Die Wirksamkeit von Lösungsklauseln ist umstritten. Der BGH hat aber jüngst den Anwendungsbereich, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen solcher Vereinbarungen klarer definiert und die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats insoweit neu ausgerichtet. Eine Vertragsklausel, die einem Vertragsteil das Recht einräumt, sich im Falle eines Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung von dem Vertrag zu lösen, ist unwirksam, wenn die Lösungsklausel in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestanden.

Bei den berechtigten Gründen differenziert der BGH zwischen Sach- oder Dienstleistungsgläubigern einerseits und reinen Geldleistungsgläubigern andererseits. Insolvenzabhängige Lösungsklauseln zugunsten eines Geldleistungsgläubigers sollen regelmäßig unwirksam sein. Für den Sachleistungsgläubiger sieht der BGH häufiger berechtigte Gründe für die Vereinbarung einer Lösungsklausel. Insoweit gibt es auch gesetzliche Vorbilder, deren Wirksamkeit die Rechtsprechung bereits anerkannt hat, z.B. § 8 Abs. 2 VOB/B, der ein solches Lösungsrecht bei Bauverträgen vorsieht.

Für den Sach-/Dienstleistungsgläubiger kommt es darauf an, ob ein sachlicher Grund für die Vereinbarung einer Lösungsklausel besteht. Das kann z.B. bei Vereinbarungen der Fall sein, die Teil einer Sanierung des Schuldners sind, wenn die Klausel dazu dient, die Risiken des Scheiterns der Sanierung für den Gläubiger abzumildern. Ferner sind insolvenzabhängige Lösungsklauseln grundsätzlich bei Verträgen zulässig, für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt, wenn die Klausel der vertraglichen Ausgestaltung des wichtigen Grundes dient, um die als wichtigen Kündigungsgrund in Betracht kommenden Fälle vertraglich möglichst exakt zu bezeichnen und so rechtliche Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit der Kündigung zu vermeiden. Der vom BGH entschiedene Fall betraf den Vertrag mit einem Transportunternehmen, das die Schülerbeförderung für fünf Schulen durchzuführen hatte. Die Insolvenz des Transportunternehmens stellte für den Vertragszweck eine Risikoerhöhung dar, da für die Durchführung der Schülerbeförderung eine besondere Zuverlässigkeit sowie eine Versicherung gegen etwaige Unfallschäden für erforderlich gehalten wurde.

Zu beachten ist, dass die Vereinbarung vertraglicher Lösungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der AGB-Kontrolle unterliegt. Ferner kommt auch bei Lösungsklauseln die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO mit der Folge in Betracht, dass die Lösungsklausel angefochten werden kann, sofern bei ihrer Vereinbarung bereits ersichtlich war, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte.

Auswirkungen des vorläufigen Insolvenzverfahrens auf Vertragsverhältnisse

Wird Insolvenzantrag gestellt, ordnet das Gericht zunächst ein vorläufiges Insolvenzverfahren an. Das Insolvenzgericht trifft alle Maßnahmen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über die Insolvenzeröffnung für die Gläubiger nachteilige Veränderungen der Insolvenzmasse zu verhindern. In der Regel wird das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Hier ist es wichtig, den Beschluss des Gerichts zur Kenntnis zu nehmen, in dem das Gericht weitere Anordnungen treffen kann, die auch die Rechte der Gläubiger betreffen können.

Die Anordnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens berührt grundsätzlich nicht den Bestand und die Wirksamkeit der gegenseitigen Verträge. Abhängig von der konkreten Sachlage wird sich in der Regel auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren um die Fortführung des Geschäftsbetriebs bemühen. Er wird dabei darauf achten, dass keine Leistungen zulasten der zukünftigen Insolvenzmasse mehr erbracht werden, für die keine Gegenleistung an den Insolvenzschuldner fließt.

In dem verfahrenseinleitenden Beschluss kann das Insolvenzgericht Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner ausdrücklich untersagen. Selbst wenn keine Untersagung erfolgt, ist in aller Regel davon abzuraten, offene Forderungen im Insolvenzeröffnungsverfahren noch mittels Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchzusetzen. Denn nach dem Eröffnungsantrag durch Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheiten werden mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von Rechts wegen unwirksam.

Eine Möglichkeit, die eigene Forderung durchzusetzen, bietet die Aufrechnung. Die Aufrechnung kann auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam erklärt werden. Es gibt allerdings mehrere Fallkonstellationen, die nicht geschützt sind, insbesondere kann die Aufrechnungslage nach Kenntnis vom Insolvenzantrag nicht mehr wirksam herbeigeführt werden.

Findet mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ein Leistungsaustausch statt, stellt sich die Frage, ob die vom Schuldner erbrachte Gegenleistung (z.B. eine Zahlung) anfechtungsfest ist. Hier sollte darauf geachtet werden, den Leistungsaustausch als Bargeschäft zu gestalten (s. o. Ziff. 2.). Darüber hinaus begründet ein vorläufiger Insolvenzverwalter, der Verträgen des Schuldners vorbehaltlos zustimmt, grundsätzlich einen Vertrauenstatbestand, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch von einem personenverschiedenen Insolvenzverwalter nicht mehr (z. B. durch Insolvenzanfechtung) zerstört werden kann.

Der vorläufige Insolvenzverwalter kann beim Insolvenzgericht die Ermächtigung beantragen, in einem Einzelfall eine Masseverbindlichkeit zu begründen. Eine Masseverbindlichkeit muss nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden, sondern kann vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter in voller Höhe geltend gemacht und notfalls eingeklagt werden. Das wird in der Regel nur zu erreichen sein, wenn die Fortführung des insolventen Unternehmens von dem konkreten Leistungsaustausch abhängt. Auch Treuhandlösungen sind in solchen Fällen denkbar.

Wenn in dem Vertrag mit dem Schuldner keine wirksame Lösungsklausel enthalten ist (siehe oben Ziff. 3), stellen weder ein Insolvenzantrag, noch die Anordnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens oder dessen Eröffnung einen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Vertrags dar. Es gibt nur wenige Ausnahmen, z.B. kann aufgrund eines Insolvenzantrags des Bauunternehmers dessen Auftraggeber kündigen (§ 9 Abs. 2 VOB/B). Gleiches gilt für den Darlehensgeber, der gemäß § 490 BGB in diesem Fall den Darlehensvertrag wegen Vermögensverschlechterung kündigen kann.

Soweit sich aus den mit dem Schuldner geschlossenen Verträgen nichts anderes ergibt, besteht die Möglichkeit, die eigene Leistung zu verweigern, wenn erkennbar wird, dass der eigene Anspruch auf die Gegenleistung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Schuldners gefährdet wird (sogenannte Unsicherheitseinrede). Auch die Einrede des nicht erfüllten Vertrages kann erhoben werden, soweit keine Vorleistungspflicht besteht. Die Unsicherheitseinrede kommt aber nicht bei allen Vertragsverhältnissen in Betracht.

Rechtsstellung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger im vorläufigen Insolvenzverfahren

Wer an Gegenständen der Insolvenzmasse ein Aussonderungsrecht geltend machen kann, kann die Herausgabe auch im vorläufigen Insolvenzverfahren verlangen. Aussonderungsberechtigt ist beispielsweise, wer Sachen unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert hat, solange der Schuldner im Besitz dieser Sachen ist. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist auch im Eröffnungsverfahren zur Herausgabe dieser Sachen verpflichtet, soweit sich ein entsprechender Anspruch aus den mit dem Schuldner bestehenden Verträgen ergibt.

Absonderungsberechtigte Gläubiger haben im Eröffnungsverfahren keinen Herausgabeanspruch. Dies betrifft etwa Gläubiger, die dem Schuldner eine Sache unter erweitertem und/oder verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert haben oder denen der Schuldner eine eigene Sache sicherungsübereignet hat. Das Gericht kann bei der Anordnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens beschließen, dass der Schuldner bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter mit Absonderungsrechten belastete Vermögensgegenstände weiterhin nutzen darf. Der BGH geht allerdings davon aus, dass ein Gläubiger, der unter verlängertem Eigentumsvorbehalt geliefert hat, mit der Weiterverarbeitung und Veräußerung seines Eigentums durch den Schuldner nur einverstanden ist, wenn der Schuldner das bei der Weiterveräußerung erzielte Entgelt auf ein auch zugunsten des Vorbehaltsverkäufers errichtetes offenes Treuhandkonto einzieht, an dem der Vorbehaltsverkäufer ein insolvenzfestes Aussonderungsrecht erwirbt.
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(1)Tagesspiegel Online, 27.11.2023; ZEIT ONLINE, 27.11.2023; Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 12.01.2024 (online).

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