Während im Rahmen der Gesetzgebung zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie die Insolvenzantragspflicht über das Jahr 2020 in weiten Teilen ausgesetzt war, läuft dieses Instrument nunmehr sukzessive aus. Mit dem SanInsFoG wird die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nun nochmal für solche Unternehmen bis zum 31.01.2021 verlängert, welche einen Anspruch auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (sog. November- und Dezemberhilfen) haben (siehe hierzu das
BMJV zur "Insolvenzantragspflicht"). Mit der "Wiedereinsetzung" der Insolvenzantragspflicht kommt dementsprechend den Insolvenzantragsgründen wieder ihre eigentliche Bedeutung zu. Das SanInsFoG ändert nun die Antragsgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung der InsO, indem es die jeweiligen Prognosezeiträume gesetzlich definiert und gleichzeitig ausdifferenziert.
So wird in § 18 Abs. 2 InsO ein neuer Satz 2 eingefügt, wonach für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit "in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monate zugrunde zu legen" ist. Zudem wird in § 19 Abs. 2 InsO der Zeitraum, auf den sich die Fortbestehensprognose zur Feststellung der Überschuldung erstreckt, auf 12 Monate festgesetzt. Indes schafft der Gesetzgeber zur Abmilderung der Pandemiefolgen für besonders stark betroffene Unternehmen gleichzeitig eine (weitere) Übergangsfrist bis zum 31.12.2021. Danach muss im Jahre 2021 unter gewissen Voraussetzungen das Fortbestehen des Unternehmens (nur) für einen Zeitraum von vier Monaten überwiegend wahrscheinlich sein, um eine positive Fortbestehensprognose zu bejahen und mithin eine Überschuldung abzulehnen.
Zunächst schaffen die nunmehr gesetzlich definierten Zeiträume ein gewisses Maß an Rechtssicherheit. Dennoch macht der Zusatz "in aller Regel" deutlich, dass zumindest für die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit möglicherweise aufgrund besonderer bzw. individueller Umstände des Unternehmens im Einzelfall doch ein abweichender Prognosezeitraum zugrunde zu legen ist. Insofern werden Geschäftsleiter – weiterhin – nicht umhin kommen zu prüfen, ob nicht doch Umstände vorliegen, welche die Zugrundelegung eines abweichenden bzw. längeren Prognosezeitraums erfordern.
Zudem führt der deutlich längere Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit zu einer stärkeren Abgrenzung zu den anderen Antragsgründen. Dieses sog. Abstandsgebot schafft einen größeren zeitlichen Vorlauf für das durch das StaRUG eingeführte, außerinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren und grenzt dieses damit von der Insolvenz ab. Dieses Verfahren steht nur Unternehmen offen, welche sich im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit befinden. Umgekehrt gehen damit nicht unerhebliche Risiken sowohl für die Gesellschafter als auch die Geschäftsleiter einher. Denn mit dem Eintritt in ein außerinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren drohen den Gesellschaftern auch gegen ihren Willen (sog. cross-class clam-down) erhebliche Eingriffe in ihre Gesellschafterrechte bis hin zum Totalverlust. Zudem verschiebt sich mit der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Pflichtenmaßstab der Geschäftsleiter, der ab diesem Zeitpunkt primär auf den Schutz der Gläubigerinteressen ausgerichtet ist, den Schutz der Gesellschafter und anderer sog. stakeholder dagegen als nachrangig betrachtet (sog. shift of fiduciary duties). Insofern kann durch diese Neuregelungen bereits weit im Vorfeld einer (möglichen) Insolvenz ein erhebliches Konfliktpotential entstehen. Während die Gesellschafter gar um ihre Gesellschafterstellung fürchten müssen, sehen sich Geschäftsleiter nicht nur einem erhöhten Haftungsrisiko ausgesetzt, sondern müssen möglicherweise auch Sanierungsmaßnahmen gegen den Willen der Gesellschafter abwägen und einleiten.