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2023

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Kommt es nach einer ausgesprochenen Kündigung zum Kündigungsschutzprozess vor den Arbeitsgerichten und wird dort die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt, drohen dem Arbeitgeber oftmals hohe Summen an nachzuzahlender Vergütung. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet, der Arbeitnehmer macht nun eine stattliche Annahmeverzugsforderung geltend. Für den Arbeitgeber folgt hieraus ein erhebliches finanzielles Risiko.

Doch was ist, wenn der Arbeitnehmer es während des doch oft lang andauernden Kündigungsschutzprozesses unterlassen hat, sich ihm bietende anderweitige Verdienstmöglichkeiten wahrzunehmen? Oder sich nach Zugang der Kündigung nicht einmal bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet hat, um deren Vermittlungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Anspruch zu nehmen? Hier lohnt sich für Arbeitgeber ein Blick auf § 11 Nr. 2 KSchG, wonach sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Wann und unter welchen Voraussetzungen sich der gekündigte Arbeitnehmer einen böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst auf die Annahmeverzugsforderung anrechnen lassen muss, konkretisierte das Bundesarbeitsgericht im Oktober 2022: Geklagt hatte ein leitender Angestellter auf Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe von rund 163.000,00 €, nachdem seiner Kündigungsschutzklage stattgegeben wurde. Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Zahlung mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe anderweitige Verdienstmöglichkeiten böswillig unterlassen, indem er sich nicht bei der Arbeitsagentur arbeitslos meldete, welche ihm eine entsprechende Position mit vergleichbarer Vergütung hätte vermitteln können.

Das Bundesarbeitsgericht hob das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Dieses hatte geurteilt, dass bereits das Unterlassen der Meldung bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend "an sich" das Merkmal des böswilligen Unterlassens erfülle. Dies reicht für eine Böswilligkeit des Arbeitnehmers nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts jedoch nicht aus. Entscheidend für die Beurteilung der Böswilligkeit seien vielmehr die gesamten Umstände des Einzelfalls, d. h. eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Dem widerspreche es, allein auf die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht gegenüber der Arbeitsagentur abzustellen und so einen Aspekt weitgehend losgelöst von den sonstigen Umständen zu betrachten. Gleichwohl habe ein Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung Beachtung zu finden, weil dem Arbeitnehmer auch arbeitsrechtlich das zugemutet werden könne, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt. Er dürfe nach § 11 S. 2 KSchG nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten werde. Dies betreffe auch Fälle, in denen sich der Arbeitnehmer typischen Informationsangeboten verschließt. Dem Einwand des Arbeitnehmers, herausgehobene Managementpositionen wie seine seien ausschließlich über private Personalvermittler (Headhunter), nicht aber über die Arbeitsagentur vermittelbar, wurde nicht gefolgt. Als weitere bei der Beurteilung der Böswilligkeit zu berücksichtigende Umstände nennt das Bundesarbeitsgericht zudem die Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers, welche Fachkenntnisse er besitzt und welche Tätigkeiten er vor Eintritt in das Arbeitsverhältnis bereits ausgeübt hat. Nur so könne geprüft werden, ob dem Kläger ein Vorwurf daraus gemacht werden könne, das Hauptaugenmerk bei der Arbeitssuche beispielsweise nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit gelegt zu haben. Denn unter Umständen hätte er auch Jobangebote außerhalb dieser Arbeitstätigkeit in Betracht ziehen müssen. Eine anderweitige Tätigkeit ist dem Arbeitnehmer nach gefestigter Rechtsprechung nämlich auch zumutbar, wenn sich einzelne Arbeitsbedingungen (Vergütung, Tätigkeit etc.) verändern, ansonsten das Gesamtbild der Tätigkeit aber weitgehend übereinstimmt und nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist. Ein Aspekt in der vorzunehmenden Gesamtabwägung können darüber hinaus diverse vorangegangene arbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sein. Des Weiteren sei bei Beurteilung der Böswilligkeit auch ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine sozialrechtliche Verpflichtung zu berücksichtigen, den Arbeitnehmer auf seine bestehende Meldepflicht gegenüber der Arbeitsagentur hinzuweisen. Bei der Gewichtung dieses Aspekts sei vor allem entscheidend, aus welchen Gründen der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht hierauf hingewiesen hat. Nun hat das Landesarbeitsgericht Niedersachen erneut über den Fall zu entscheiden. 

Es bestehen einige Möglichkeiten für Arbeitgeber, wie der Nachweis eines böswilligen Unterlassens im Streitfall leichter gelingen kann: Arbeitgeber sollten stets auf die Meldepflicht bei der Arbeitsagentur hinweisen. Denn durch den Hinweis auf die Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung erlangt der Arbeitnehmer positive Kenntnis von dieser, sodass ein dann bewusster Verstoß gegen die Meldepflicht im Rahmen einer Gesamtabwägung beträchtlich ins Gewicht fällt. Auch empfiehlt es sich, vom Arbeitnehmer Auskunft über die Meldung als arbeitssuchend und die von der Arbeitsagentur und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge zu verlangen. Nur so kann substantiierter Vortrag und gegebenenfalls der Nachweis erbracht werden, dass eine erfolgreiche Vermittlung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich gewesen wäre. Denn es lässt sich nachvollziehen, auf wie viele der Vermittlungsvorschläge der Arbeitnehmer sich über welchen Zeitraum beworben hat, wann eine erstmalige Bewerbung erfolgte, ob der Arbeitnehmer auf Nachfragen von potentiellen Arbeitgebern reagiert oder konkrete Angebote abgelehnt hat und ob er bei der Suche den Kreis an möglichen Tätigkeiten weit genug gezogen hat. Zuletzt lohnt es sich, dem betroffenen Arbeitnehmer auch selbst entsprechende einschlägige Verdienstmöglichkeiten aufzuzeigen, etwa durch Weiterleitung von Stellenangeboten anderer Unternehmen. Wird dies dokumentiert und im Prozess vorgebracht, muss sich der Arbeitnehmer erklären, ob er diesbezügliche Bewerbungen eingereicht oder aus welchen Gründen er hiervon abgesehen hat.

Für Fragen zu diesem Thema steht Ihnen unser Arbeitsrecht-Team gerne zur Verfügung.

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