BGH, Urteile vom 11.10.2023 - IV ZR 40/22 und 41/22
Die Urteile betreffen zwei Rentenversicherungsverträge, die auf Basis des VVG 2008 noch vor Einführung der gesetzlichen Musterwiderrufsbelehrung geschlossen wurden. Nach Auffassung des BGH war die zu den Verträgen verwendete Widerrufsbelehrung hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs unzureichend. Die Versicherungsnehmer hätten auch über die Pflicht zur Nutzungsherausgabe für den Fall belehrt werden müssen, dass der Versicherungsschutz nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt bzw. der Versicherungsnehmer diesem nicht zugestimmt hat. Dieser Fehler sei regelmäßig weder unerheblich noch geringfügig, so dass das Widerrufsrecht auch nach Ablauf der Widerrufsfrist fortbestehe.
Die Rechtsfolgen des Widerrufs richteten sich nach §§ 9, 152 VVG, wenn der Versicherungsnehmer dem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt habe. Die Zustimmung könne auch durch eine vorformulierte Erklärung im Versicherungsantrag erteilt werden. Gemäß der gesetzlichen Regelung habe der Versicherungsnehmer daher Anspruch auf den nach dem ungezillmerten Deckungskapital berechneten Rückkaufswert ohne Verrechnung von Abschluss- und Vertriebskosten oder auf die für das erste Versicherungsjahr gezahlte Prämie, wenn das für ihn günstiger sei. Diese Regelung stehe im Einklang mit europäischem Recht.
Bewertung: Die Entscheidungen sind bitter für viele Versicherungsunternehmen, weil der Hinweis auf die Verpflichtung zur Nutzungsherausgabe regelmäßig in den damals verwendeten Belehrungen nicht enthalten war. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der BGH insoweit von seiner pragmatischen Linie der letzten Monate abgewichen ist und diesen „Fehler“ nicht wenigstens als geringfügig eingestuft hat. Die erfreulichen Feststellungen zur formularmäßigen Zustimmung zum Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist und den Rechtsfolgen des Widerrufs können nur teilweise über das unerfreuliche Ergebnis hinwegtrösten. Auch nur die Aussicht darauf, den Rückkaufswert ohne Verrechnung von Abschluss- und Vertriebskosten zu erhalten, wird die „Widerrufs-Prozessindustrie“ weiter befeuern.
Praxishinweis: Bei der Verteidigung in Widerrufs-Rechtsstreiten kommt dem Herausarbeiten der Besonderheiten des Einzelfalls weiterhin große Bedeutung zu. Erfahrungsgemäß bejahen die Instanzgerichte einen Ausschluss des Widerrufsrechts aufgrund Verwirkung oder widersprüchlichen Verhaltens wesentlich großzügiger als der BGH. In der Sachverhaltsdarstellung sollten neben den vom BGH anerkannten Konstellationen der Treuwidrigkeit (mehrfache oder kurz nach Vertragsschluss erfolgte Abtretung als Kreditsicherheit, Wiederinkraftsetzung nach Beitragsfreistellung oder Kündigung) auch weniger eindeutige Indizien wie z. B. Änderungen des Bezugsrechts, Inanspruchnahme von Teilauszahlungen/Policendarlehen und Vertragsänderungen erwähnt werden.
2024
Beim Krankenversicherungsschutz für Auslandsreisen handelt es sich um ein Thema, das gerne vernachlässigt wird, obwohl dieses Risiko relativ preiswert abgesichert werden kann. Häufig ist entsprechender Versicherungsschutz auch schon als Nebenleistung in anderen Verträgen, z.B. Kreditkarten- oder Reiseversicherungsverträgen, enthalten. Während mancher über keinen Versicherungsschutz verfügt, sind andere daher – nicht selten unwissentlich – sogar mehrfach versichert.
Zur Prüfung der Eignung von Bietern fordern öffentliche Auftraggeber regelmäßig Angaben zu Referenzen. In einem von der Vergabekammer des Bundes mit Beschluss vom 23.07.2024 entschiedenen Fall hatte der öffentliche Auftraggeber den Nachweis von mindestens zwei Referenzprojekten zu Rohbauarbeiten an Neubauvorhaben mit einem Auftragsvolumen von mindestens 1,5 Mio. € sowie ein weiteres Referenzprojekt zu Rohbauarbeiten bei einem Umbauobjekt mit statischen Eingriffen in das vorhandene Bestandsgebäude mit einem Auftragswert von ebenfalls mindestens 1,5 Mio. € verlangt.
Nach § 97 Abs. 4 GWB hat der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffung von Leistungen mittelständische Interessen zu berücksichtigen, indem er Teil- und Fachlose bildet. Dadurch soll es mittelständischen Unternehmen erleichtert werden, sich um Aufträge der öffentlichen Hand zu bemühen. Eine Gesamtvergabe, also insbesondere die Zusammenfassung mehrerer Fachlose in einem Auftrag, ist nach § 97 Abs. 4 GWB nur zulässig, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Mit Beschluss vom 21.08.2024 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf die Gesamtvergabe einer Erneuerung von ca. 90.000 m² Asphaltfahrbahn, der Erneuerung von 14.000 m Fahrbahnrückhaltesystem, der Verkehrsführung über eine Baustellenlänge von 7,8 km während der Baumaßnahme sowie die Herstellung von ca. 21.000 m Weißmarkierung für unzulässig erklärt.