HomeWissenVeröffentlichungenDer Verbraucherwiderruf – eine unendliche Geschichte
02.10.2025

Der Verbraucherwiderruf – eine unendliche Geschichte

Ein Verbraucher beauftragte im August 2020 einen Handwerker mit Elektro-, Trockenbau- und Sanitärarbeiten an seinem Gebäude. Der Vertrag wurde auf der Terrasse des Gebäudes geschlossen und damit außerhalb der Geschäftsräume des Handwerkers. Nachdem der Handwerker die ihm übertragenen Arbeiten im Wesentlichen ausgeführt hatte, widerrief der Verbraucher Ende März 2021 den geschlossenen Vertrag und forderte den Handwerker zur Erstattung bereits geleisteten Werklohns in Höhe von knapp 56.000,00 € auf. Da der Handwerker die Erstattung verweigerte, erhob der Verbraucher Klage auf Rückzahlung. 

Während der Handwerker vor dem Landgericht noch einen Erfolg feiern konnte, verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart am 16.11.2023 zur Erstattung der erhaltenen Abschlagszahlungen. Da der Handwerker den Verbraucher nicht über sein Widerrufsrecht belehrt hatte, konnte der Verbraucher den Vertrag noch im März 2021 widerrufen. Denn ohne Belehrung behält der Verbraucher sein Widerrufsrecht ein Jahr und 14 Tage ab Vertragsschluss. Rechtsfolge des Widerrufs ist, dass der Handwerker dem Verbraucher die erhaltenen Zahlungen zu erstatten hat. Zwar muss grundsätzlich auch der Verbraucher die erhaltenen Leistungen zurückgeben, soweit dies möglich ist. Der Handwerker verlangte deshalb, dass ihm der Verbraucher die verbauten Materialien herausgeben sollte. Er forderte die von ihm eingebauten Verteilerschränke, Heizkreisverteiler aus Edelstahl, Trockenbauelemente, gestellte Wände und eingezogene Decken, Kunststoffleitungen und Sanitärgegenstände vom Verbraucher zurück. Diese Forderung hatte beim Oberlandesgericht Stuttgart keinen Erfolg, da keine Ausbaupflicht des Verbrauchers bestehe und die verbauten Materialien wesentliche Bestandteile des Gebäudes geworden seien. In diesem Fall bestehe keine Rückgabepflicht. Der Verbraucher musste auch keinen Wertersatz an den Handwerker leisten. Einen solchen Wertersatz hat ein Verbraucher z. B. nach Widerruf eines sogenannten Verbraucherbauvertrags zu leisten. Ein Verbraucherbauvertrag, der die Errichtung eines Gebäudes oder erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude betrifft, die dem Bau eines neuen Gebäudes gleichkommen, lag jedoch nicht vor. Deshalb musste der Verbraucher keinen Wertersatz leisten. 

Der Verbraucher war nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart nicht nach Treu und Glauben an einer Rückforderung des Werklohns gehindert. Während das Landgericht noch meinte, die Ausübung des Widerrufsrechts führe zu einem Ergebnis, das elementaren Gerechtigkeitsgedanken und Wertvorstellungen zuwiderlaufe, wenn der Verbraucher erbrachte Leistungen im Wert von mehreren 10.000,00 € allein wegen einer nicht erfolgten Widerrufsbelehrung kostenlos erhalte, hat das Oberlandesgericht Stuttgart gegenteilig entschieden: Aufgrund europarechtlicher Vorgaben solle ein nicht über sein Widerrufsrecht informierter Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Vertragsleistungen befreit werden, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden. Deshalb stelle sich ohnehin die Frage, ob der Rückforderungsanspruch des Verbrauchers nach einem erklärten Rücktritt über Treu und Glauben korrigiert werden könne. Selbst wenn dies ausnahmsweise zulässig sein sollte, lägen die Voraussetzungen im konkreten Fall für eine Einschränkung des Rückforderungsanspruchs nicht vor. Eine solche Einschränkung sei allenfalls dann zulässig, wenn ein Verbraucher arglistig gegenüber dem Unternehmer handele, indem er etwa den Vertragsabschluss bewusst außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers herbeiführe und dabei um das verlängerte Rücktrittsrecht bei unterbliebener Belehrung wisse. Eine solche Situation lag nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart nicht vor. 

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart ist für den Handwerker extrem ärgerlich: Allein wegen der unterbliebenen Belehrung des Verbrauchers über das Widerrufsrecht hat der Verbraucher die Werkleistung letztlich ohne Bezahlung erhalten. Dem Handwerker entsteht so ein Schaden in Höhe mehrerer 10.000,00 €. Zu verhindern ist dies allein durch eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung (siehe auch Newsletter II. Quartal 2023).

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Dr. Lars Knickenberg Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Vergaberecht

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