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25.06.2024

Ist ein Angebot mit Erklärungs- oder Kalkulationsirrtum auszuschließen?

Mit Urteil vom 16.05.2024 hat das Oberlandesgericht Stuttgart einem Bieter Schadenersatz zugesprochen, dessen Angebot von der Vergabestelle wegen eines Kalkulationsfehlers ausgeschlossen worden war. Der Bieter hatte Stahl-Positionen mit Einheitspreisen zwischen 1,19 €/t und 3,68 €/t angeboten. Dabei war er versehentlich von einem Kilo- statt einem Tonnen-Preises ausgegangen. Obwohl der Bieter erklärte, zum Angebot stehen zu wollen, da es in seiner Gesamtheit auskömmlich sei, hat die Vergabestelle das Angebot ausgeschlossen und den Zuschlag auf das Angebot des zweitplatzierten Bieters erteilt.

Für den Ausschluss des Angebots berief sich die Vergabestelle auf ein Urteil des Oberlandesgericht Karlsruhe vom 11.01.2011, das das Angebot eines Bieters ausgeschlossen hatte, der in seinem Angebot zu einer Position ebenfalls fälschlicherweise einen Kilo- statt eines Tonnen-Preises angegeben hatte. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe lag ein Erklärungsirrtum vor, der für den Bieter zur Anfechtbarkeit des Angebots führte. Aufgrund der damit fehlenden Angebotsklarheit meinte das Oberlandesgericht Karlsruhe, das Angebot sei zwingend auszuschließen und könne auch nicht durch die Erklärung des Bieters „gerettet“ werden, er stehe zu seinem Angebot. Dem hat das Oberlandesgericht Stuttgart (mehr oder weniger) widersprochen: Das Oberlandesgericht Stuttgart sah keinen Irrtum bei der Abgabe der Angebotserklärung, sondern bei der Kalkulation des Angebots. Irrtümer bei der Kalkulation berechtigen – dies ist in der Rechtsprechung allgemein anerkannt – nicht zur Anfechtung einer Angebotserklärung. Damit hat das Oberlandesgericht Stuttgart den Irrtum in der Phase der Kalkulation gesehen, während das Oberlandesgericht Karlsruhe den Irrtum in der Abgabe der Angebotserklärung mit einem „falschen“ Preis sah. Gleichzeitig hat das Oberlandesgericht Stuttgart zu erkennen gegeben, dass es die Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe kritisch sieht.

Insbesondere in Baden-Württemberg, aber auch darüber hinaus kann der Ausschluss eines Angebots wegen eines falsch angegebenen Einheitspreises für die Vergabestelle aufgrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Oberlandesgerichte problematisch sein: Schließt die Vergabestelle ein Angebot aus und wehrt sich der betroffene Bieter vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, drohen Schadenersatzansprüche auf den Auftraggeber zuzukommen. Für Beschwerdeverfahren in noch nicht abgeschlossenen Vergabeverfahren ist in Baden-Württemberg ausschließlich das Oberlandesgericht Karlsruhe zuständig. Dort könnte der Ausschluss eines Angebots weiterhin auf Zustimmung stoßen.

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