HomeWissenVeröffentlichungenNeuerungen auf Ebene der EU: Leitfaden der Kommission zu Art. 22 FKVO – Fusionskontrolle unterhalb der Aufgreifschwellen
25.05.2021

Neuerungen auf Ebene der EU: Leitfaden der Kommission zu Art. 22 FKVO – Fusionskontrolle unterhalb der Aufgreifschwellen


1. Hintergrund
Ende März 2021 veröffentlichte die EU Kommission ein Arbeitspapier, das die Ergebnisse einer Analyse der Funktionsfähigkeit der Verfahren nach der EU-Fusionskontrollverordnung ("FKVO") zusammenfasst. Geprüft wurde insbesondere, ob die Umsatzaufgreifschwellen der FKVO geeignet sind, prüfungswürdige von wettbewerblich unproblematischen Zusammenschlüssen zu unterscheiden. Dies wurde zwar grundsätzlich bejaht. Allerdings gebe es gerade in Bereichen wie Digitales, Arzneimittel oder Biotechnologie Unternehmen, bei denen der Umsatz nicht mit ihrer wettbewerblichen Relevanz korreliere. Es bestehe dann die Gefahr, dass wettbewerblich kritische Zusammenschlüsse nicht erfasst würden. Deshalb müssten Mechanismen entwickelt werden, um solche Fälle einer fusionskontrollrechtlichen Prüfung zuzuführen.

2. Der Leitfaden zu Art. 22 FKVO
Die Kommission beschränkt sich nicht darauf, diese Regelungslücke zu benennen. Vielmehr veröffentlicht sie gleich einen Leitfaden, der Abhilfe schaffen soll. Anknüpfungspunkt des Leitfadens ist Art. 22 FKVO. Diese bisher wenig genutzte Vorschrift ermöglicht es Mitgliedstaaten, die Verweisung eines Zusammenschlusses an die EU Kommission zu beantragen. Das Besondere daran: die Vorschrift lässt es nach Auffassung der Kommission zu, dass ein Mitgliedstaat eine Verweisung auch dann beantragt, wenn der Zusammenschluss nach seinen nationalen Regeln nicht fusionskontrollpflichtig ist, etwa weil er die relevanten Aufgreifschwellen nicht erreicht. Voraussetzung für einen Antrag auf Verweisung ist demnach nur,
(1) dass die Transaktion ein Zusammenschluss im Sinne der FKVO ist,
(2) dass der Zusammenschluss den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen droht, der die Verweisung beantragt, und
(3) dass der Antrag innerhalb von 15 Arbeitstagen nach dem Zeitpunkt gestellt wird, zu dem der nationalen Kartellbehörde der Zusammenschluss bekannt geworden ist.

Mit anderen Worten: Selbst wenn ein Zusammenschluss weder die Aufgreifschwellen des Mitgliedstaates noch der FKVO erfüllt, ist eine Verweisung an die Kommission zur Prüfung im Verfahren nach der FKVO möglich. Die Kommission möchte mit dem Leitfaden erreichen, dass Mitgliedstaaten von diesem Instrument künftig stärker Gebrauch machen. Sie denkt dabei vor allem an den Aufkauf von Unternehmen, bei denen der Umsatz die wettbewerbliche Relevanz nicht zutreffend widerspiegelt, namentlich (1) digitalwirtschaftliche Unternehmen, (2) innovative oder forschungsaktive Unternehmen, die Inhaber gewerblicher Schutzrechte sind (wie etwa Pharmaunternehmen) sowie (3) Unternehmen, die über wettbewerblich wichtige Vermögensgegenstände verfügen (Rohstoffe, Daten, Infrastrukturen).

3. Folgen für die Praxis
Für die Parteien eines Zusammenschlusses bedeutet dies, dass sie die Gefahr einer Verweisung bereits während der Planungsphase einer Transaktion erwägen und sich mit den praktischen Herausforderungen beschäftigen müssen. Eine von der Kommission vorgesehene Handlungsmöglichkeit besteht darin, frühzeitig mit der Kommission Kontakt aufzunehmen, um eine Indikation zu erhalten, ob die Kommission eine Verweisung annehmen würde. Zudem ermutigt die Kommission explizit auch Dritte, die von einem Zusammenschluss negativ betroffen werden, sich proaktiv an Kartellbehörden zu wenden, um so eine Überprüfung zu erreichen.

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