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11.12.2025

Nur was gefordert ist, kann auch verlangt werden

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem Vergabenachprüfungsverfahren mit Beschluss vom 19.11.2025 klargestellt, dass die Vergabestelle von Bietern nur solche Nachweise und Zertifikate verlangen darf, die zuvor ausdrücklich in den Vergabeunterlagen gefordert wurden. Fehlen diese Anforderungen in den Unterlagen, darf die Forderung nicht „nachgeschoben“ werden, und zwar weder im Aufklärungs- oder einem Nachforderungsverfahren noch durch Auslegung unklarer Leistungsbeschreibungen.

In dem vom Bayerischen Obersten Landesgericht entschiedenen Fall hatte eine Auftraggeberin ein Deckensicherungssystem ausgeschrieben. In den Vergabeunterlagen war zwar die Leistung umfassend beschrieben, aber es wurde kein DVWG-/DVGW Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem gefordert. Ein Bieter legte ein GS-Zeichen (nach ProdSG) und weitere produktbezogene Prüfunterlagen vor. Die Vergabestelle verlangte daraufhin – gestützt auf eine Auswertung des GS Zertifikats – de facto ein DVWG-/DVGW Baumusterprüfzertifikat für das gesamte System. Der Bieter konnte ein solches Zertifikat nicht beibringen, sein Angebot wurde deshalb ausgeschlossen. Es kam zur Rüge und anschließenden Nachprüfung.

Nach § 16a Abs. 2 EU VOB/A dürfen nur die Unterlagen nachgefordert werden, die bereits mit dem Angebot vorzulegen waren. Das heißt: Maßgeblich ist, was in den Vergabeunterlagen ausdrücklich niedergelegt ist. Eine nachträgliche Anforderung weiterer Zertifikate sprengt den Rahmen des Vergabeverfahrens. Vergabeunterlagen müssen dabei klar und verständlich sein. Bieter sollen eindeutig erkennen können, welche Nachweise sie beibringen müssen. Wenn ein bestimmtes Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem gewollt ist, muss dies unmissverständlich aus der Leistungsbeschreibung oder den Teilnahme-/Eignungsanforderungen hervorgehen. Unklare oder widersprüchliche Formulierungen gehen zu Lasten der Vergabestelle. Sie darf diese Unklarheiten nicht im Nachhinein durch zusätzliche Anforderungen „heilen“. Stattdessen ist gegebenenfalls eine Überarbeitung der Unterlagen und eine transparente Neuausschreibung erforderlich. Zusätzliche, nicht ausgeschriebene Anforderungen bilden eine faktische Hürde, die einzelne Bieter bevorzugen oder benachteiligen kann. Das verstößt gegen das Transparenzgebot und die Chancengleichheit. Aufklärungen und Nachforderungen dienen dazu, fehlende oder unvollständige, aber geschuldete Nachweise nachzureichen – nicht dazu, neue, zuvor nicht geforderte Eignungs- oder Qualitätsnachweise zu etablieren.

Das Bayerische Oberste Landesgericht weist darauf hin, dass die Vergabestelle nicht berechtigt war, nachträglich ein DVWG-/DVGW Baumusterprüfzertifikat für das Gesamtsystem zu verlangen, da ein solches in den Vergabeunterlagen nicht explizit gefordert wurde. Der Ausschluss des Angebots war daher nicht gerechtfertigt. Da die rechtssichere Vergabe ohne die nachträglich geforderten Zertifikate nicht möglich sei, müsse die Vergabestelle die Unterlagen präzisieren und die Vergabe transparent fortführen beziehungsweise neu auszuschreiben. Damit gibt das Bayerische Oberste Landesgericht vor, dass Klarheit vor Geschwindigkeit geht. Notfalls muss das Vergabeverfahren zurückversetzt werden, wenn der Auftraggeber bemerkt, dass er Nachweise der Bieter benötigt, die er in seinen Vergabeunterlagen nicht gefordert hat.

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Dr. Lars Knickenberg Partner
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