Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist auch für Start-Ups alles andere als einfach. Viele potentielle Gründerinnen und Gründer scheuen sich vor dem Sprung in die Selbstständigkeit. Im Jahr 2022 gab es 18 % weniger Firmengründungen als im Jahr zuvor. Und auch die während der Corona-Pandemie ausgesetzte Insolvenzantragspflicht gilt bekanntlich wieder. Umso erfreulicher ist daher, dass die Rechtsprechung die insolvenzrechtlichen Anforderungen an Start-Ups nicht überspannt: mit einem Beschluss vom 09.02.2022 (Az. 12 U 54/21) hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass bei der Überschuldungsprüfung eines Start-Ups auch die Finanzierungszusage eines externen Investors berücksichtigt und zu einer positiven Fortführungsprognose führen kann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
Das OLG Düsseldorf hatte zu entscheiden, ob der ehemalige Geschäftsführer eines Start-Ups für Zahlungen der Gesellschaft zu haften hatte, die nach der Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden waren. Entscheidend war dabei, ob sich der Geschäftsführer auf eine Zusage eines Investors, der der Gesellschaft bereits in der Vergangenheit Kapital zur Verfügung gestellt hat, die Gesellschaft auch in Zukunft zu finanzieren, hatte verlassen dürfen.
Eine Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners (der Gesellschaft) die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Ergibt also die rechnerische Überprüfung, dass die Schulden das Vermögen der Gesellschaft übersteigen, ist auf einer zweiten Stufe eine sog. Fortführungsprognose zu erstellen. Der Geschäftsführer hat darzulegen, von welchen zukünftigen Geschäftsverläufen er ausgeht und weshalb die Gesellschaft trotz derzeitiger Überschuldung in Zukunft überwiegend wahrscheinlich im Stande sein wird, die Verbindlichkeiten zu erfüllen. Bei der Fortführungsprognose ist nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich an die Ertragsfähigkeit des Unternehmens, also die Fähigkeit des Unternehmens, verlustfrei zu wirtschaften und Gewinne zu erzielen, anzuknüpfen.
Diese Rechtsprechung ist jedoch nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht uneingeschränkt auf Start-Ups anwendbar: diese konzentrieren sich insbesondere zu Beginn auf Investitionen und Wachstum statt auf Profit und Gewinne. Üblicherweise wird diese Phase von externen Geldgebern finanziert. Daher ist für die Frage, ob das Start-Up mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, seine offenen Verbindlichkeiten zu decken, auch auf Investitionszusagen Dritter (in Form von Fremd- oder Eigenkapital) abzustellen. Liegen solche Zusagen vor, darf der Geschäftsführer des Start-Ups von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen, solange ein nachvollziehbares operatives Konzept vorliegt, wonach das Start-Up irgendwann ertragsfähig ist. Dabei kommt es im Übrigen nicht darauf an, dass die Zusage des Investors rechtlich gesichert und einklagbar ist. Es genügt, wenn es nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Investor das Start-Up nicht weiterfinanzieren wird.
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