Mit der Entscheidung G 1/24 hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) eine zentrale Frage in der Praxis beantwortet: Ist der Inhalt eines Patentanspruchs im Erteilungs- und Widerrufsverfahren auszulegen, und wenn ja wie?
Die Antwort ist eindeutig – und grundlegend:
Patentansprüche sind stets im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen, selbst wenn der Anspruchswortlaut für sich genommen verständlich erscheint.
Abkehr von der bisherigen gängigen EPA-Praxis
Diese Aussage markiert eine klare Abkehr von der bislang teils praktizierten Linie bei Verfahren vor dem EPA. Bisher wurde bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit oft ausschließlich auf den Wortlaut des Anspruchs abgestellt – und auf die Beschreibung sowie die Figuren nur dann zurückgegriffen, wenn der Anspruch als unklar oder mehrdeutig galt.
Mit G 1/24 betont die große Beschwerdekammer nun, dass ein rein wortlautbezogenes Verständnis dem Gesamtzusammenhang des Patents nicht gerecht wird. Maßgeblich sei die Gesamtoffenbarung – und damit eine Auslegung, die den Anspruch in den technischen Kontext der Anmeldung einordnet. Dabei geht die große Beschwerdekammer auch auf Artikel 69 EPÜ und Artikel 84 EPÜ ein, welche die Frage einer möglichen Auslegung von Patentansprüchen von unterschiedlichen Beschwerdekammern verschieden interpretiert und angewendet wurden.
Auswirkungen auf Prüfungs- und Einspruchspraxis
Diese Entscheidung betrifft nicht nur künftige Patentanmeldungen, sondern auch laufende Prüfungs-, Einspruchs- und Widerrufsverfahren. Die einheitliche Auslegungsmethodik kann in vielen Fällen zur Beschleunigung führen, da Interpretationsspielräume reduziert werden. Gleichzeitig birgt die Neuausrichtung das Potenzial für vertiefte Diskussionen über den Schutzumfang – insbesondere dort, wo die Beschreibung vom Anspruch abweichende oder ergänzende Definitionen enthält.
Für Anmelder, Patentanwälte und IP-Verantwortliche stellt sich damit eine zentrale Aufgabe:
Bereits bei der Erstellung einer Patentanmeldung sollte sichergestellt sein, dass die Beschreibung die beanspruchte Erfindung nicht nur stützt, sondern auch präzise ergänzt – ohne dem Anspruchsverständnis zu widersprechen. Gleiches gilt für Zeichnungen und Ausführungsbeispiele, die in Zukunft noch stärker in die Anspruchsauslegung einfließen dürften. Zudem ist darauf zu achten, dass die Beschreibung und die Ansprüche nicht zu einer unbeabsichtigten Einschränkung des Schutzumfangs führen.
Praktische Empfehlungen
Die Entscheidung G 1/24 unterstreicht die Bedeutung einer konsistenten, durchdachten Patentanmeldung – von der von der Anspruchsformulierung bis zur Beschreibung und den Figuren:
• Beschreibung und Anspruch müssen inhaltlich aufeinander abgestimmt sein
• Unklare oder mehrdeutige Begriffe sollten in der Beschreibung präzisiert werden
• Technische Zusammenhänge, die für das Verständnis des Anspruchs wesentlich sind, sollten explizit dargestellt sein.
Auch bereits anhängige europäische Patentanmeldungen oder erteilte europäische Patente können vor dem Hintergrund von G 1/24 nochmals auf Auslegungsklarheit und Schutzumfang überprüft werden – insbesondere auch in Hinblick auf mögliche Einspruchs- oder Nichtigkeitsrisiken.
Unsere Unterstützung
Wir begleiten Unternehmen bei der strategischen Ausarbeitung von Anmeldungen ebenso wie bei der Bewertung bestehender Schutzrechte im Hinblick auf die neue EPA-Rechtsprechung.
Gerne stehen wir Ihnen zur Verfügung – ob zur ersten Einschätzung oder zur konkreten Umsetzung.
2025
Private Unfallversicherungen, aber auch „neuere“ Versicherungsformen wie Dread-Disease- oder Existenzsicherungsversicherungen, sehen häufig Leistungsansprüche vor, wenn unfall- oder krankheitsbedingt eine bestimmte Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch XI zuerkannt wurde. Ab dem Jahr 2017 wurden jedoch die Pflegestufen I bis III durch die Pflegegrade 1 bis 5 ersetzt. Es stellt sich daher die Frage, wie „Altverträge“ im Leistungsfall auszulegen sind, die noch auf die alten Pflegestufen abstellen.
Der EuGH hat mit Urteilen vom 22.10.2024 und 13.03.2025 entschieden, dass Bieter aus Drittstatten – also solchen Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind – und solchen Staaten, die keine Übereinkünfte mit der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen haben, im Vergabeverfahren nur eingeschränkte Rechte besitzen.
Die Europäische Kommission hat ein förmliches Verfahren gegen SAP eingeleitet, um mögliche wettbewerbswidrige Praktiken des Software-Giganten zu untersuchen. Im Kern steht die Frage, ob SAP im Europäischen Wirtschaftsraum eine marktbeherrschende Stellung auf dem Anschlussmarkt für Support und Wartung für die von SAP lizenzierte Software ERP (Enterprise Resource Planning) missbraucht hat.
Die Europäische Kommission sowie nationale Kartellbehörden können von Unternehmen Auskünfte einholen oder Unterlagen anfordern, die sie zur Erfüllung ihrer behördlichen Aufgaben benötigen. Im Zusammenhang mit Fusionskontrollverfahren werden regelmäßig Auskünfte dazu eingeholt, welche wettbewerblichen Auswirkungen ein Zusammenschluss aus Sicht der betroffenen Marktakteure hat. Auch im Rahmen von kartellbehördlichen Ermittlungsverfahren, wenn beispielsweise der Verdacht kartellrechtswidriger Praktiken im Raum steht, können Auskunftsersuchen zu Zwecken der Sachverhaltsaufklärung an Unternehmen gerichtet werden. Befragt werden können dabei nicht nur die im Zentrum der Ermittlung stehenden Unternehmen, sondern auch andere Marktteilnehmer.
Das Oberlandesgericht Brandenburg hat in einem Hinweisbeschluss vom 08.01.2025 zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung von Rechtsanwaltshonoraren Stellung genommen. Der Insolvenzverwalter des von der Rechtsanwaltskanzlei vertretenen Unternehmens hatte auf Rückzahlung der von der Kanzlei zwischen Januar 2018 und September 2019 vereinnahmten Beratungs- und Prozessvertretungshonorare geklagt. Die Kanzlei argumentierte, ihre Mandantin sei in dem genannten Zeitraum, jedenfalls in wesentlichen Teilen des Zeitraums, nicht zahlungsunfähig gewesen und habe auch ihre drohende Zahlungsunfähigkeit nicht erkannt gehabt. Auch sie selbst habe zu keinem Zeitpunkt eine drohende Zahlungsunfähigkeit angenommen, die mit der Mandantin getroffenen Ratenzahlungsvereinbarungen seien üblich. Der Kanzlei bekannte betriebswirtschaftliche Auswertungen hätten keinen Anlass zur Annahme einer Zahlungsunfähigkeit oder Unwirtschaftlichkeit der eigenen Mandantin gegeben.