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03.05.2023

BGH zum Widerruf des Todesfall-Bezugsrechts


BGH, Urteil vom 22.3.2023 – IV ZR 95/22

In diesem von unserer Kanzlei für den Versicherer geführten Rechtsstreit ging es um die Frage, ob in der Kündigung eines Lebens- bzw. Rentenversicherungsvertrags regelmäßig zugleich der Widerruf des Todesfall-Bezugsrechts zu sehen ist. Die VN hatte ihren Rentenversicherungsvertrag zum folgenden Monatsanfang gekündigt und um Überweisung des „Restbetrags“ auf ihr Konto gebeten. Ausführungen zum Bezugsrecht enthielt das Kündigungsschreiben nicht. Kurz vor dem Wirksamwerden der Kündigung verstarb die VN.
Die Alleinerbin der VN argumentierte, durch die Kündigung sei gleichzeitig das Todesfall-Bezugsrecht widerrufen worden, so dass ihr die Todesfall-Leistung zustehe. Sie berief sich auf Entscheidungen des Insolvenzsenats des BGH, der für das Erlebensfall-Bezugsrecht entschieden hatte, dass dieses regelmäßig durch die Kündigung eines Insolvenzverwalters mit widerrufen werde. Auch der Bezugsberechtigte beanspruchte - nach unserer Auffassung zu Recht - die Todesfall-Leistung. Wir wiesen darauf hin, dass das Todesfall-Bezugsrecht für den Zeitraum zwischen dem Ausspruch und dem Wirksamwerden einer Kündigung seine Funktion der Absicherung des Bezugsberechtigten behalte. In die Kündigung könne ohne weitere Anzeichen daher nicht die Erklärung hineininterpretiert werden, dass die Todesfall-Leistung fortan den Erben und nicht mehr dem Bezugsberechtigten zustehen solle.
Das Landgericht Stuttgart folgte in Übereinstimmung mit einem Urteil des OLG Köln unserer Einschätzung. Das OLG Stuttgart entschied überraschend genau umgekehrt, ließ aber die Revision zum BGH zu. Das OLG war der Auffassung, der VN wolle durch eine Kündigung regelmäßig den vollständigen Wert des Versicherungsvertrags seinem liquiden Vermögen zuführen, wie auch der Insolvenzverwalter den gesamten Vertragswert zur Masse ziehen wolle. Das Vermögen des VN gehe durch den Tod nicht verloren, sondern stehe den Erben zu einschließlich des durch die Kündigung realisierten Werts der Versicherung.
Der BGH konnte sich der Einschätzung des OLG Stuttgart nicht anschließen und entschied den Rechtsstreit in unserem Sinne. Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebens- bzw. Rentenversicherungsvertrags durch den VN zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung im Todesfall enthalte. Diese Frage sei vielmehr durch Auslegung der Erklärung des VN im Einzelfall zu klären. Habe der Versicherer - wie im vorliegenden Fall - keine Hinweise auf die Hintergründe der Kündigung, könne er nicht von einem Widerruf des Todesfall-Bezugsrechts ausgehen.

Bewertung: Es ist oft erstaunlich, dass zu Konstellationen, die in der Praxis regelmäßig vorkommen und die in der Rechtsprechung bzw. Literatur unterschiedlich beurteilt werden, auch über 100 Jahre nach Inkrafttreten des BGB und des VVG noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. So verhielt es sich mit der Frage, ob in der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags regelmäßig der Widerruf des Todesfall-Bezugsrechts zu sehen ist. Die Entscheidung des BGH verschafft den Versicherungsunternehmen jedenfalls für die typischen Sachverhalte nun Rechtssicherheit.

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