Der US-amerikanische Biotech-Konzern Illumina plante im Jahr 2020, das Unternehmen Grail für einen Milliarden-Betrag zu erwerben. Viele Kartellbehörden hielten das für eine Gefahr für den Wettbewerb. Da Grail aber noch keine hohen Umsätze erwirtschaftete, konnte der Fall mangels Überschreiten der Umsatzschwellen weder von der Europäischen Kommission noch von den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten im Wege der Fusionskontrolle aufgegriffen werden. Die französische Wettbewerbsbehörde verwies den Fall im Jahr 2021 trotz fehlender eigener Zuständigkeit an die Kommission. Die Kommission nahm die Verweisung an und untersagte den Zusammenschluss. Sie berief sich für die Annahme der Verweisung auf eine Neuinterpretation von Art. 22 der Fusionskontroll-Verordnung (FKVO). Über diese Neuorientierung und die dazu ergangenen Leitlinien hatten wir bereits in einem früheren
Newsletter informiert.
Mit Urteil vom 03.09.2024 schob der EuGH diesem Vorgehen einen Riegel vor. Die Europäische Kommission sei für das von ihr durchgeführte Fusionskontrollverfahren nicht zuständig gewesen. Unternehmen müssten aus Rechtssicherheits- und Vorhersehbarkeitsgründen im Voraus bewerten können, ob ein Zusammenschluss von Kartellbehörden aufgegriffen werde oder nicht.
Der Entscheidung kommt enorme Bedeutung für die Fusionskontrollpraxis zu. Damit ist nicht nur das Vorgehen der Kommission gegen den Zusammenschluss Illumina/Grail gescheitert. Auch ihre Leitlinien zur Neuinterpretation von Art. 22 FKVO sind hinfällig. Zusammenschlussparteien müssen sich künftig nicht mehr mit der Frage beschäftigen, ob eine eigentlich unzuständige nationale Behörde die ebenfalls unzuständige Europäische Kommission durch einen Antrag involvieren kann.
Dennoch ist die Rechtslage weiter komplex und mit Unwägbarkeiten für die Parteien belastet. So hat es der EuGH in seiner Entscheidung in Sachen Towercast für möglich gehalten, dass Kartellbehörden vollzogene Zusammenschlüsse im Nachhinein aufgreifen und als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung untersagen – und zwar gerade dann, wenn kein Fusionskontrollverfahren durchgeführt wurde. Nationale Behörden haben davon schon Gebrauch gemacht.
Zudem haben eine ganze Reihe an Mitgliedsstaaten bereits eigene, sogenannte „ex-officio“ Aufgreifmöglichkeiten geschaffen, die es den Kartellbehörden ermöglichen, Zusammenschlüsse unterhalb der formalen Umsatzschwellen aufzugreifen.
Und schließlich hat sich die regulatorische Landschaft für Transaktionen in den letzten Jahren auch dadurch verändert, dass Transaktionen einer immer weitergehenden außenwirtschaftsrechtlichen Investitionskontrolle unterliegen und dass seit 2023 auch die EU-Drittstaatensubventionsverordnung ein eigenes Anmeldeverfahren für Transaktionen vorsieht.