Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit bereits entschieden, dass der Verfall von Urlaubsansprüchen nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr auf seine restlichen Urlaubstage und den drohenden Verfall seitens des Arbeitgebers hingewiesen wurde. Anderenfalls tritt der zum Jahresende nicht verfallene Urlaub zum Urlaubsanspruch hinzu, der zu Beginn des Folgejahres entsteht.
Für Arbeitnehmer, die aufgrund von Langzeiterkrankung verhindert sind, ihren Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, gelten diesbezüglich allerdings Besonderheiten. Da im Falle einer andauernden Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmer tatsächlich gar nicht in der Lage ist, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen, verfällt der Urlaubsanspruch in dieser Situation nicht mit Ablauf des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums. Um jedoch eine unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen von langzeiterkrankten Arbeitnehmern zu verhindern, hat der Europäische Gerichtshof für den Fall einer über mehrere Bezugszeiträume andauernden Arbeitsunfähigkeit einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten als zulässig erachtet.
Ungeklärt war bislang aber, ob der Verfall nach 15 Monaten im Falle der Langzeiterkrankung auch eintritt, wenn der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen ist.
Das Bundesarbeitsgericht differenziert in mehreren Entscheidungen vom 20.12.2022 diesbezüglich anhand des jeweiligen Beginns der Arbeitsunfähigkeit: Ist der Arbeitnehmer durchgängig seit Beginn des Urlaubsjahres bis 15 Monate nach dessen Beendigung arbeitsunfähig, verfällt der Urlaubsanspruch zu letzterem Zeitpunkt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist. Der Arbeitnehmer hätte in dieser Konstellation, aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit, in keinem Fall die Möglichkeit gehabt – unabhängig davon, ob er darauf hingewiesen und dazu aufgefordert wurde –, seinen Urlaub im Urlaubsjahr in Anspruch zu nehmen.
Anders liegt der Fall, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat und die Arbeitsunfähigkeit erst während dieses Jahres eintritt. Hier muss für den Verfall nach 15 Monaten der Arbeitgeber vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen sein, da es dem Arbeitnehmer bei entsprechendem Hinweis möglich gewesen wäre, seinen Urlaub (zumindest teilweise) zu nehmen.
Arbeitgeber sind demnach angehalten, ihrer Hinweisobliegenheit schnellstmöglich nach Anspruchsentstehung nachzukommen, da weder der Beginn noch die Dauer einer Langzeiterkrankung vorhersehbar ist. In einem Urteil vom 31.01.2023 hat das Bundesarbeitsgericht eine Frist von sechs Werktagen als ausreichend angesehen. Demnach sollten Arbeitnehmer innerhalb der ersten Jahreswoche auf ihren Urlaubsanspruch hingewiesen werden. Bei Beginn einer Langzeiterkrankung innerhalb dieses Zeitraums tritt laut Bundesarbeitsgericht auch ohne vorherigen Hinweis der Verfall nach 15 Monaten ein. Insofern trägt in diesem Zeitraum der Arbeitnehmer das Risiko, dass seine Urlaubsansprüche wegen einer Langzeiterkrankung verfallen, da für den Arbeitgeber gar keine Möglichkeit bestand, seine Hinweisobliegenheit zu erfüllen. Bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr, tritt ein Verfall des Urlaubsanspruchs nur anteilig insoweit ein, wie der Arbeitnehmer bei ordnungsgemäßem und rechtzeitigem Hinweis in der Lage gewesen wäre, seinen Urlaub zu nehmen (d. h. Anzahl der potentiellen Urlaubstage zwischen der Frist zur Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit und dem Beginn der Langzeiterkrankung).
Auch während der Dauer der Langzeiterkrankung hat der Arbeitgeber gegenüber Langzeiterkrankten seiner Hinweisobliegenheit nachzukommen. Zwar ist es dem Arbeitnehmer während der Dauer der Erkrankung nicht möglich, seinen Urlaub zu nehmen. Der Hinweis, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum genommen werden kann, erfüllt aber auch während der Zeit der Erkrankung den Zweck, dass der Arbeitnehmer bei Wiedergenesung ab dem ersten Arbeitstag Urlaub in Anspruch nehmen und er mithin von seiner Dispositionsmöglichkeit hinsichtlich des Zeitraums der Inanspruchnahme des Urlaubs Gebrauch machen kann.