Der Bundesgerichtshof hatte in einem Urteil vom 08.02.2024 Gelegenheit, zu den Voraussetzungen einer Wissenszurechnung innerhalb einer Behörde (hier eines Hauptzollamtes) sowie einer insolvenzbezogenen Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit Stellung zu nehmen. Die in der Entscheidung genannten Argumente lassen sich auf juristische Personen des Privatrechts übertragen. Soweit es für Rechtsfolgen auf die Kenntnis eines Beteiligten ankommt, wie bei der Insolvenzanfechtung zum Beispiel auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Geschäftspartners, stellt sich bei Behörden und juristischen Personen die Frage, welche natürliche Person innerhalb der Organisation maßgeblich ist. Das ist zunächst einmal immer der konkrete Sachbearbeiter, ferner liegt grundsätzlich Kenntnis vor, wenn der Behördenleiter bzw. Geschäftsführer oder Vorstand tatsächlich Kenntnis vom relevanten Umstand besitzt.
In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte der in einem Eigenverwaltungsverfahren bestellte Sachwalter gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Rückzahlung von Einfuhrumsatzsteuer und Zollzahlungen geklagt, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt worden waren. Über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war im Handelsblatt sowie in deutlich ländlicher geprägten Pressepublikationen berichtet worden. Zur tatsächlichen Kenntnis der zuständigen Sachbearbeiter hatte der Sachwalter im Prozess nicht vorgetragen, er berief sich vielmehr auf den angeblichen Erfahrungssatz, der Leiter einer Behörde, wie der eines Hauptzollamtes, verfolge generell im üblichen Umfang mediale Berichterstattungen und nehme diese zur Kenntnis. Folglich habe der Behördenleiter vom Eröffnungsantrag Kenntnis gehabt. Diesen Erfahrungssatz hat der Bundesgerichtshof nicht anerkannt. Um von einer medialen Berichterstattung auf die Kenntnis eines Insolvenzereignisses schließen zu können, müsse hierüber vielmehr derart umfassend und hervorgehoben berichtet worden sein, dass die Berichterstattung dem entsprechenden Kenntnisträger „nicht verborgen geblieben sein kann“. Auch eine generelle Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit hinsichtlich etwaiger Insolvenzereignisse besteht nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht. Eine solche Pflicht könne nur hinsichtlich eines erkanntermaßen kriselnden Unternehmens angenommen werden. Ihr Bestehen würde auch nicht zur Fiktion einer tatsächlich nicht vorhandenen Kenntnis führen, sondern lediglich zur Zurechnung von Wissen, das innerhalb der Organisation tatsächlich vorhanden war.