BGH, Urteil vom 22.9.2023 – IV ZR 177/22
Für große Aufregung hatte ein Urteil des VI. Zivilsenats des BGH vom 15.6.2021 - VI ZR 576/19 zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO gesorgt. Danach sollte dem Versicherungsnehmer der Anspruch zustehen, praktisch den gesamten Inhalt der Vertragsakte zu einem Versicherungsvertrag in Kopie zu erhalten. Dieser Anspruch wurde seither insbesondere in den massenhaft geführten Rechtsstreiten zu Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung dazu missbraucht, Kopien auch lange zurückliegender Korrespondenz über Prämienanpassungen zu verlangen. Auch in anderen Rechtsstreiten eröffnete diese Rechtsprechung die Tür für eine umfassende „Ausforschung“ des Prozessgegners.
Durch ein Urteil des IV. Zivilsenats vom 22.9.2023, zu dem bislang nur eine Presseerklärung vorliegt, wurde diese Rechtsprechung nun teilweise korrigiert. Vorangegangen war ein Urteil des EuGH vom 4.5.2023 - C-487/21. Danach ist Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO nicht so auszulegen, dass ein Anspruch auf Kopien sämtlicher Dokumente verlangt werden kann, in denen personenbezogene Daten enthalten sind. Der Anspruch beziehe sich vielmehr ausschließlich auf eine Kopie der personenbezogenen Daten selbst. Nur wenn das Auskunftsrecht anders nicht wirksam ausgeübt werden könne, bestehe auch ein Anspruch darauf, Auszüge von Dokumenten bzw. Datenbanken zu erhalten.
Dementsprechend hat der BGH einen datenschutzrechtlichen Anspruch auf Herausgabe sämtlicher Prämienanpassungsschreiben verneint. Ein Anspruch auf Kopien dieser Schreiben könne sich aber aus Treu und Glauben ergeben, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Zum einen müssten überhaupt noch Ansprüche auf Prämienrückforderungen möglich sein, was insbesondere bei offensichtlich eingetretener Verjährung ausscheidet. Zum anderen dürfe der Versicherungsnehmer nicht mehr über die Unterlagen verfügen und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise verschaffen können. Schließlich müsse er auch auf „entschuldbare Weise über sein Recht im Ungewissen sein“.
Bewertung: Die Urteile des EuGH und des BGH werden hoffentlich zu einer sinnvollen Begrenzung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs in der Instanzrechtsprechung und der Verwaltungspraxis der Datenschutzbehörden führen. Es ist in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen nicht hinnehmbar, dass der Datenschutz für eine umfassende Ausforschung des Gegners missbraucht werden kann.
Praxishinweis: Die Begrenzung des Auskunftsanspruchs ist in der Praxis von geringem Nutzen, wenn sich Dokumente, die ganz oder in Auszügen dem datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch unterliegen (z. B. ärztliche Befunde bzw. Stellungnahmen mit einer Vielzahl personenbezogener Daten) nicht mit vertretbarem Aufwand von nicht auskunftspflichtigen Dokumenten trennen lassen. Es gilt daher weiterhin, dass schon bei der Aktenanlage und -führung der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch bedacht werden sollte. Eine sinnvolle Strukturierung der elektronischen Akte und „Datensparsamkeit“ bei der Archivierung personenbezogener Daten erleichtert den Umgang mit Auskunftsansprüchen enorm.